Schwanengrab
ist cool!
Beinahe hätte ich erwähnt, dass wir an meiner alten Schule eine Halfpipe auf dem Campus hatten.
Mike: Und du?
Sunny: Volleyball.
Das spielte ich wirklich gerne. Am liebsten Beachvolley.
Mike: Bist du in der Schulmannschaft?
Sunny: Ja!
Schon wieder eine Lüge. Warum eigentlich? Wollte ich mich dadurch interessanter machen?
Mike: Wollte auch mal da vorbeischauen. Wann habt ihr noch mal Training?
Oje, erwischt – keine Ahnung!
Sunny: Dienstag.
Es dauerte eine Weile, bis eine Antwort kam.
Mike: Gut, vielleicht sehen wir uns ja mal dort.
Sunny: Ja, vielleicht.
Mike: Und was machst du sonst noch gerne?
Sunny: Theater spielen.
Mike: Ach ja?
Sunny: Schwanensee würde mir gefallen. Vielleicht kann ich eine Rolle bekommen.
Mike: Würde ich an deiner Stelle lassen.
Sunny: Wieso?
Mike: Sind alle schon vergeben. Bist du ab jetzt öfter im Chat?
Sunny: Ja, denke schon.
Mike: Ich eigentlich immer um diese Zeit. Vielleicht hast du ja Lust, morgen wieder ein bisschen zu quatschen.
Endlich jemand, der sich mit mir unterhalten wollte. Meine Laune besserte sich schlagartig.
Sunny: Ja! Denke, ich bin dann auch wieder on.
Mike: Ich muss jetzt weg! Hab noch was vor.
Sunny: Okay, dann bye.
Mike: Ciao.
Neben seinem Namen erschien ein leuchtender roter Punkt. Ausgeloggt.
Ich tat dasselbe. Surfte noch ein bisschen auf der Seite der Schule und landete schließlich bei der Theatergruppe.
» Schwanensee – eine moderne Neuinszenierung mit musikalischen Elementen von Pjotr Iljitsch Tschaikowski«, stand in großen Buchstaben darüber. Dann wurdeein wenig über den Inhalt des Stückes erzählt, die eingescannte Zeichnung zweier Schwäne (weiß und schwarz), zwei Fotos von den Proben folgten, dann die Liste der Mitwirkenden. Ich überflog sie:
Odette (weißer Schwan) – Geli Neuwarter
Odile (schwarzer Schwan) – Carolin Eichstätter
Die Superzicke aus meiner Klasse spielte also eine der Hauptrollen.
Prinz – David Hohenstetter
die Schwäne – Kerstin Illhofer, Vanessa Kallmeier ... usw.
Die halbe 9a machte mit.
Idee und Buch: Veronika Henkstel, Sandra Trautmann und Christoph Wagner
Hieß nicht auch der Streber Christoph?
Regie: Christina Krahe, Thomas Simon
Ah, mein Klassenlehrer also.
Mike hatte wohl recht. Die Rollen waren tatsächlich schon alle vergeben. Schade. Die Premiere sollte auch bereits in drei Wochen sein – dabei hatte das Schuljahr doch gerade erst angefangen.
Irgendwann loggte ich mich aus und fuhr den Laptop herunter.
Lustlos ging ich in die Küche. Mein Vater stand neben dem Herd und schenkte sich einen großen Becher Kaffee ein.
»Hey!«, begrüßte ich ihn. Er schien mich noch nicht vermisst zu haben.
»Hey!«, sagte er knapp und ging an mir vorbei in sein Arbeitszimmer. Ich wusste genau, wie das endete. Natürlichwürde er bis spät in die Nacht an seiner neuen Kampagne arbeiten, irgendwann dann an seinem Schreibtisch einschlafen und früh am Morgen vollkommen zerknittert und mit schmerzendem, steifem Genick aufwachen. Er würde unter die Dusche gehen, sich rasieren und ohne Frühstück in die Arbeit fahren. So wie jeden Tag seit dem Tod meiner Mutter. Auch in Deutschland war es nicht anders. Wir wohnten erst eine Woche hier, aber seit unserer Landung hatten wir nur wenige Sätze miteinander gesprochen. Und schon gar nicht darüber, wie wir uns fühlten.
Mein Dad sprach nicht über seine Gefühle. Nicht mit mir und bestimmt auch mit keinem anderen. Nicht damals, als er von dem Unfall erfahren hatte, nicht bei der Beerdigung und jetzt auch nicht. Einmal hatte ich es versucht.
»Ich vermisse sie!«, hatte ich gesagt.
Er antwortete nur: »Das tun wir alle.«
Hier in Trier vermisste ich nicht nur meine Mutter, sondern auch meine Freunde. Und mein Vater war zwar da, aber irgendwie auch wieder nicht.
Deprimiert ging ich ins Bad und anschließend ins Bett. Es dauerte lange, bis ich eingeschlafen war.
Der Vollmond schimmerte in einem gespenstischen Blau durch die dunklen Wipfel der Bäume. Mit ihren ausladenden Ästen sahen sie aus wie gewaltige Monster. Ich schauderte, als ich bemerkte, wo ich mich befand. Was, zum Kuckuck, machte ich mitten in der Nacht in einem Wald? Durch das Dickicht vormir schimmerte ein weißes Licht. Ich musste ihm folgen, das war wichtig.
Langsam ging ich los. Meine Füße rutschten über den nassen Boden, das welke Laub darauf war wie Schmierseife. Erst jetzt bemerkte ich, dass es nieselte. Es war kalt und ich wollte meine Jacke enger um
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