Schwanengrab
liebsten angeschrien. Stattdessen murmelte ich: »Ja, ging schon.«
»Ich war einkaufen. Hast du Hunger?«
Meinen Blick wieder auf den Bildschirm geheftet, schüttelte ich den Kopf. Wahrscheinlich würde ich nie mehr etwas essen können, so sehr brannte dies alles hier in meinem Magen.
»Na gut!«
Ich hörte, wie er die Tür zuzog. Zum Glück. Nur wegen ihm war ich hier. Nur weil mein Vater sich einbildete, es wäre besser so – für mich! Im Grunde genommen war es doch nur eine Flucht. Seine Flucht! Vor der Trauer und dem Leben ohne meine Mutter. Warum musste er mich da mit hineinziehen? Ich wäre in Berkeley besser damit klargekommen als hier.
Ich hatte gedacht, ich kippe um, als er mit diesem Schreiben ankam. Ein Jobangebot einer großen Werbeagentur. Genau die Stelle, die er schon immer wollte, wie er betonte. In Deutschland! Das konnte doch nicht sein Ernst sein! Aber wie ernst es ihm tatsächlich damit war, merkte ich bereits eine Woche später. Er hatte schon alles in die Wege geleitet. Der Arbeitsvertrag war unterschrieben, die Flüge gebucht. Da er in Deutschland geboren war und somit die deutsche Staatsangehörigkeit hatte, war das vollkommen unproblematisch. Sogar diese Vier-Zimmer-Wohnung in Trier hatte er bereits ausgesucht. Erdgeschoss, mit Terrasse und kleinem Gartenanteil. Na toll!
Hundertmal hatte ich den Versuch gestartet, ihn zu überreden, in den USA zu bleiben. Auch meine Grandma hatte es probiert. Aber er ließ sich nicht von seinem Plan abbringen. Und ehe ich michs versah, saß ich schließlich im Flieger.
Kapitel 3
Ich schrieb die Einträge aus Caros Matheheft ab. An den Seitenrändern hatte sie I ♥ U gemalt. Wer sich in die verliebte, war mir ein Rätsel.
Dann nahm ich die Infoblätter, die mir Herr Simon in die Hand gedrückt hatte. Darin stand, was an der Schule alles angeboten wurde. Verschiedene Sportarten, ein Chor, sogar eine Theatergruppe (genial!) und ein eigener Chatroom. Ich tippte die Internetadresse, gab das Generalpasswort der Schule ein, das ich in den Unterlagen fand und studierte die Seite. War ganz gut gemacht. Es gab die Möglichkeit, mit anderen Schülern zu chatten oder E-Mails zu verschicken und einen neuen Account einzurichten, was erstaunlich leicht ging. Das Programm verlangte lediglich einen Benutzernamen, ein eigenes Kennwort und das Alter. Ich überlegte kurz, entschied mich für »Sunny« und machte mich einfach um ein Jahr älter. Nach den Reaktionen meiner Mitschüler musste mich ja nicht gleich jeder erkennen. Den Namen Sunny würde wohl so schnell niemand mit mir in Verbindung bringen. Nur meine Mutter hatte mich immer so genannt. Eine Weile blätterte ich in den Foren der Sport- und der Theatergruppe. Es gab Volleyball, was ich gerne spielte, und eine geplante Inszenierung von Schwanensee . Allerdings nicht in der Ballettversion, sondern ineiner eigenen modernen Form, mit Dialogen und Hip-Hop-Einlagen. Klang super! In Berkeley war ich auch in der Theater-AG gewesen. Ich spielte für mein Leben gern. Vielleicht gab es eine Möglichkeit für mich, mitzumachen und Leute kennenzulernen?
Ich konnte es kaum fassen, als nach einigen Minuten das Zeichen neben meinem Loginnamen grün aufblinkte. »Eine neue Nachricht«, wurde angezeigt. Hastig öffnete ich meinen Account.
»Mike möchte mit dir Kontakt aufnehmen. Bist du damit einverstanden: JA/NEIN?«
Natürlich drückte ich JA. Ein neues Fenster öffnete sich und auf dem Bildschirm erschien die Nachricht an mich:
Mike: Hey! Bist du neu im Chat?
Ich wollte mich natürlich nicht gleich als »die Neue« outen und schrieb daher: »Ja! Hat ein bisschen gedauert, bis ich mich entschieden habe, hier mal reinzusehen. Meine Freundinnen meinten, die Seite wäre super.«
Mike: Ah ja. Alles klar! Ich kenne keine Sunny an der Schule. In welche Klasse gehst du?
Sunny: In die Zehnte! (Das war zwar gelogen, aber was sollte es.) Und du?
Mike: Auch! Dann kennen wir uns vielleicht besser, als wir denken.
Sunny: Kann schon sein! Aber es gibt ja nicht nur eine Zehnte.
Mike: In welche gehst du denn?
Shit, der wollte es ja ganz genau wissen. Und jetzt?
Sunny: B.
Hoffentlich ging er nicht auch in diese Klasse. Gespannt hielt ich den Atem an ...
Mike: A. Puh! Glück gehabt.
Sunny: Was treibst du so?
Ich wusste nicht, was ich sonst fragen sollte.
Mike: Gerade sitze ich vor meinem Computer und chatte mit dir.
Schlaumeier!
Sunny: Und sonst?
Mike: Sport.
Sunny: Welchen?
Mike: Handball und Skaten.
Sunny: Skaten
Weitere Kostenlose Bücher