Schwanenlied: Der fünfte Fall für Katrin Sandmann (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
nicht einmal darüber reden? Katrin schaute sich um, das Foyer war leer. Sie lief hinaus auf den Parkplatz, doch auch dort war nichts von Manfred zu sehen. Vielleicht war er hoch auf ihr Zimmer gegangen? Katrin seufzte, kehrte ins Foyer zurück und stieg in den ersten Stock. Sie probierte die Klinke, die Zimmertür war verschlossen. Leise klopfte sie. »Manfred? Machst du bitte auf?«
Keine Antwort.
Verflucht! Was dachte dieser Idiot sich? Katrin ließ die Hand sinken. Sie hatte keinen Zimmerschlüssel, und an der Rezeption nach einem Zweitschlüssel zu fragen, war ihr zu blöd. Sie wandte sich ab. Na gut, dann konnte sie wenigstens ungehindert das tun, was sie sich vorgenommen hatte. Ihre Handtasche hatte sie nämlich bei sich. Und darin war auch der Wagenschlüssel.
Kurz darauf war sie unterwegs nach Euskirchen. Ihr erster Weg führte sie in die Stadtbücherei, wo sie nach Büchern zur lokalen Geschichte fragte. Manchmal hatte man Glück und stieß in einem der zahlreichen heimatkundlichen Bände auf eine Spur. Vor allem, wenn es um Spukgeschichten ging. Die meisten Bücher, die in dem Regal ›Regionale Historie‹ standen, waren zu alt, doch als Katrin schon fast aufgeben wollte, stieß sie auf ein dünnes Heftchen mit dem Titel ›Hexen, Geister, Wiedergänger. Geschichten und Legenden aus der Nordeifel.‹ Sie zog den Band aus dem Regal und überflog das Inhaltsverzeichnis. Da! Tatsächlich! ›Der schwarze Dämon von Kestenbach‹. Katrin setzte sich im Schneidersitz auf den Boden und überflog den kurzen Text.
Der schwarze Dämon von Kestenbach
»Haltet euch vom Grauweilerhof fern, wenn es dunkel wird!«, so lautet die finstere Warnung, die Eltern ihren Kindern in Kestenbach mit auf den Weg geben. »Denn dann treibt der Dämon sein Unwesen.«
In dem kleinen Dorf Kestenbach bei Blankenheim spukt es. Wann genau der schwarze Dämon zum ersten Mal gesichtet wurde, ist nicht bekannt. Tatsache ist jedoch, dass eine Reihe Dorfbewohner Stein und Bein schwören, in der Nähe von besagtem Grauweilerhof eine dunkle Gestalt gesichtet zu haben, ein dürres, menschenähnliches Wesen, das geheult und mit den Augen gerollt habe wie eine wilde Kreatur. Um den Hof rankt sich ein weiteres Gerücht, das manchmal mit dem Dämon in Verbindung gebracht wird. Als im 2. Weltkrieg Johanna Grauweiler, die Gemahlin des Hausherrn, starb, herrschte strenger Winter und die Erde war hartgefroren. Deshalb konnte man die Frau nicht sogleich bestatten. Als es im Frühjahr endlich taute, starb auch der Hausherr, und weil das Geld und das Holz knapp waren, wurden beide gemeinsam in einem Sarg beerdigt. Angeblich war der Sarg so leicht, dass Zweifel aufkamen, ob tatsächlich beide Eheleute darin lagen. Manch einer meint deswegen, der schwarze Dämon sei die tote Johanna, und sie müsse solange in der Zwischenwelt umherirren, bis sie endlich zu Grabe getragen werde.
Katrin ließ das Buch sinken. Zumindest stimmte das mit dem überein, was der Arzt und der alte Polizist erzählt hatten. Ungefähr jedenfalls. Allerdings wurde in dem Buch ein anderer Grund genannt, weshalb Johanna Grauweiler nicht beerdigt worden war. Rau hatte von ihrer Angst berichtet, lebendig begraben zu werden, hier war von hartgefrorener Erde die Rede. Doch egal, aus welchem Grund es so gewesen sein sollte, es konnte nicht stimmen! Zumindest war es nicht die ganze Wahrheit. Katrin rief sich die Mumie in Erinnerung, die kleinen Füße, die schmächtige Gestalt. Die Frau, wenn es sich tatsächlich um eine Frau handelte, war höchstens einen Meter fünfzig groß gewesen. Katrin betrachtete die Illustration, die ein Zeichner zu der Geschichte angefertigt hatte, eine schwarze Gestalt in wehenden Gewändern. Ja, es entsprach vermutlich den Tatsachen, dass ein menschlicher Körper während des Mumifizierungsprozesses schrumpfte. Aber so stark?
Katrin stand vom Boden auf, ging zu einem der Münzkopierer und fertigte eine Fotokopie an. Sie suchte noch eine Weile weiter, fand aber nichts mehr über den schwarzen Dämon von Kestenbach.
Im Eingangsbereich der Bibliothek standen Computer mit Internetzugang. Das erinnerte sie an einen Gedanken, der in ihrem Hinterkopf herumspukte, seit sie die geheime Kammer gesehen hatte. Sie loggte sich ein und tippte einen Suchbegriff in die Maske. Wenig später überflog sie einen Artikel auf Wikipedia und ballte triumphierend die Faust. Volltreffer!
Als Nächstes war das Stadtarchiv von Euskirchen an der Reihe. Es dauerte eine Weile, bis sie
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