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Schwanentanz

Schwanentanz

Titel: Schwanentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Francis
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früher daran gedacht? Sie hätte davon ausgehen müssen, dass der Strom nicht funktionierte. Allerdings hatte sie nicht damit gerechnet, dass es so früh dunkel werden würde. Ihre Vermutung bestätigte sich, die Eiche bildete eine undurchdringliche Barriere für das Sonnenlicht. Mehr noch, sie schien das Licht zu absorbieren, es zu schlucken, und somit lag das Haus schon um fünf Uhr nachmittags im Finstern. So konnte sie nicht mehr lange weiterarbeiten, dabei hatte sie erst das Badezimmer geputzt und nicht einmal die Hälfte dessen erreicht, was sie heute schaffen wollte. Es war mühsamer als gedacht, denn aus den Wasserleitungen kamen nur kalte Rinnsale. Für heißes Putzwasser hatte sie den Ofen mit Torf aus dem Schuppen füllen und anfeuern müssen. Putzmittel war keins da, aber vorerst tat es auch ihre Seife. Altes Haus mit einem Dufthauch von N°5; warum auch nicht. Die Riesenspinne hatte erfreulicherweise durch den Abfluss gepasst. Seebestattungen waren doch eine feine Sache.
    Den Sicherungskasten hatte Suzanna schon entdeckt, aber alles Drehen an den Knöpfen änderte nichts. Es gab keinen Strom – Ende der Diskussion mit diesem Haus. Ob Marge die Rechnungen nicht gezahlt hatte? Sie schrieb ihrer Freundin eine SMS und ging hinunter in die Küche, um die Stumpenkerzen zu holen, die sie vorhin gefunden hatte. Im Dämmerlicht wirkte das Erdgeschoss noch ungemütlicher als am Tag. Graugewaschen von Schmutz. Der Staub hatte sich wieder gelegt, dort, wo eben noch Fußabdrücke ihre Wege verraten hatten, lag nun wieder eine dicke Schicht Dreck.
    Irgendetwas irritierte sie. Ohne benennen zu können, was es war, spürte sie ein mulmiges Gefühl, das sich um ihren Hals wickelte wie ein kratziger Schal. Sie zog eine Schranktür auf. Es quietschte und Leere gähnte ihr entgegen. Waren hier nicht eben die Kerzen gewesen? Auch im nächsten Schrank fand sie das Gesuchte nicht. Verdammt. Sie schlug den Schrank mit einem Knall zu. Im gleichen Moment begriff sie, was sie so nervös machte.
    Es war ruhig. Mehr noch. Still.
    Seit die Sonne hinter der Eiche untergetaucht war, hörte Suzanna von draußen nichts mehr, obwohl das Fenster gekippt stand. Kein Vogel tschilpte, nichts raschelte in den Hecken; da war nicht einmal das Geräusch von Wind in den Zweigen. Sie trat ans Fenster, zog den Ärmel über die rechte Hand und wischte ein Guckloch in die grauen Schlieren. Die Welt stand still, wie kurz vor dem ersten Blitz, wenn ein Gewitter aufkommt. Wie das Innehalten des Atems der Erde, ehe ein Sturm hereinbricht. Aber am Himmel stand keine Wolke.
    Reiß dich zusammen, sagte sie sich. Es ist nur windstill, sonst nichts.
    Die Maus, die sie noch nicht hinausgescheucht hatte, ließ sich nicht blicken. Wo waren die dicke Küchenspinne und ihr Gefolge? Ungewollt hielt sie die Luft an, bereitete sich auf den Anblick der Kellerasseln vor und hob mit spitzen Fingern den verschlissenen Webteppich hoch.
    Da war nicht eine einzige.
    Als die Kerze zum dritten Mal grundlos verlosch, verlor Suzanna die Nerven. Das Feuerzeug klickte und spuckte kleine Funken, die es nicht zu einer Flamme schafften. „Verdammte Scheiße“, rief sie und pfefferte es auf den Boden. Tolle Idee, wie sollte sie es im Dunkeln wiederfinden?
    Vor der schmutzigen Scheibe des Schlafzimmerfensters bewegten sich die Schatten der Bäume hin und her. Es erinnerte an eine Kulisse in einem schaurigen Ballett. Sie bereute, nicht beim ersten mulmigen Gefühl in ihren Wagen gestiegen und abgehauen zu sein. Bis eben hatte sie sich eingeredet, dünnhäutig zu reagieren. Etwas, das nicht länger infrage kam, wenn sie auch nach ihrer Karriere als Tänzerin ihren Weg gehen wollte. Die ehemalige Mimose mit den Füßen aus Leder musste nun beweisen, dass sie mehr konnte als Pirouetten, Arabesquen und Temps de poisson. Zum Beispiel irrationalen Ängsten die Stirn bieten. Das stellte sich als nicht so einfach heraus, solange ständig die Kerzen ausgingen und sie im Finstern saß.
    Sie atmete durch, stand vom Sessel auf und ließ die Wolldecke von den Schultern rutschen. Vorsichtig ging sie in die Hocke, um die Dielen nach dem Feuerzeug abzutasten. Sie hatte das Schlafzimmer oberflächlich durchgefegt, den Boden aber noch nicht gewischt, sodass Schmutz an ihren Fingern haften blieb. Egal. Wo war das blöde Feuerzeug? Vielleicht unter den Sessel gerutscht? Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie mit den Händen unter das Möbelstück glitt. Wer wusste, auf was sie dort stoßen würde.

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