Schwangerschaft ist keine Krankheit
würde.
Alles ging gut, Andrea wurde am dritten Tag nach Hause entlassen. Beim Entlassungsgespräch wurde der Wöchnerin geraten, sich nach sechs Wochen erneut beim Diabetologen zum Zuckerbelastungstest vorzustellen â das Risiko für einen Typ-II-Diabetes sei bei ihr kurzfristig und auf längere Sicht erhöht.
Es gibt viele Schwangere, die so wie Andrea vor mir sitzen. Sie kommen als gesunde junge Frauen in die Praxen ihrer Ãrzte und gehen als Kranke oder potenziell Kranke. Sie werden behandelt wie gefährdete Personen, die dauerüberwacht werden müssen â wie Frauen, die durch ihre Stoffwechsellage, ihr zu hohes Gewicht eine Gefahr für das Ungeborene darstellen. Und sie fühlen sich deswegen oftmals besorgt und schuldig.
Fazit: Ich denke immer wieder darüber nach, ob Sie als Schwangere nicht glücklicher und unbesorgter sein könnten, wenn Ihnen diese Untersuchungen und deren Konsequenzen erspart blieben. Welchen Hintergrund hat dieser Test auf das Vorliegen eines Schwangerschaftsdiabetes? Wir müssen uns fragen, ob eine ungezielte Blutzucker-Reihenuntersuchung wirklich sinnvoll ist.
Wie gefährlich ist der Schwangerschaftsdiabetes eigentlich?
Lassen Sie uns doch einmal verfolgen, warum es so lange gedauert hat, bis der Blutzuckertest für Schwangere nun endlich eine Leistung der gesetzlichen Krankenkassen wurde. Blicken wir zurück auf den Gang der Beratungen des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), so wird offensichtlich, dass es schwierig ist, dieser Untersuchung einen ganz eindeutigen Nutzen abzugewinnen. Die Bedeutung des Gestationsdiabetes wird weltweit seit etwa 30 Jahren kontrovers diskutiert. Ãber die Einführung eines Screenings aller Schwangeren auf einen Schwangerschaftsdiabetes wird in Deutschland bereits seit dem Jahr 2002 beraten. In der Folge wurden die Diskussionen abgebrochen, da aus den vorliegenden Studien nicht ersichtlich wurde, wie sich ein gestörter mütterlicher Zuckerstoffwechsel tatsächlich auf den Verlauf von Schwangerschaft und Geburt auswirkt.
Wir halten fest: Der Blutzucker-Belastungstest wurde im ersten Anlauf nicht eingeführt, weil sein Nutzen nicht nachgewiesen werden konnte.
Insbesondere die Schwierigkeit, wissenschaftlich fundierte Grenzwerte für die Blutzuckermesswerte zu formulieren, führte dazu, dass der generelle Blutzuckertest für alle Schwangeren nicht als sinnvolle MaÃnahme empfohlen werden konnte (G-BA 15.12.2011).
Erst drei Jahre später wurden die Beratungen des Gemeinsamen Bundesausschusses zu diesem Thema wieder aufgenommen. Im Jahr 2007 wurde das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) beauftragt, den Nutzen und die Notwendigkeit eines Screenings auf Schwangerschaftsdiabetes systematisch zu analysieren. Für diese Untersuchung wertete das Institut alle für das Thema wichtigen Studien aus â darunter insbesondere drei groÃe Studien (Crowther et al. 2005, HAPO-Studie 2008, Landon et al. 2009). Die 2009 vorgelegten Ergebnisse besagten, dass die Behandlung eines Schwangerschaftsdiabetes bestimmte geburtshilfliche Komplikationen vermindern kann (IQWiG S07-01).
Der klare Nutzen der Behandlung eines Schwangerschaftsdiabetes
Was bedeutet das â »bestimmte geburtshilfliche Komplikationen verhindern«? Die Behandlung eines Schwangerschaftsdiabetes hat nur einen einzigen Nutzen: Es treten wahrscheinlich unter der Geburt weniger Schulterdystokien auf. Dieser Zusammenhang ist belegt. Dabei ist zu beachten, dass es sich um ein seltenes Ereignis handelt, welches zudem häufig ohne negative Folgen bleibt.
â¦Â und wo sie sich nicht auswirkt
Die Behandlung eines Schwangerschaftsdiabetes wirkt sich insgesamt nicht auf das Verhindern mütterlicher oder kindlicher Todesfälle aus. Ein erhöhter mütterlicher Blutzucker ist demnach für beide nicht lebensbedrohlich. Dieses Ergebnis liefert auch eine aktuelle Analyse der Cochrane Collaboration, bei der überhaupt keine positiven Effekte des Tests auf Schwangerschaftsdiabetes auf die mütterliche und kindliche Gesundheit gefunden werden konnten (Tieu et al. 2010). Es besteht auch kein Zusammenhang zwischen Gestationsdiabetes und kindlichen Fehlbildungen, wie häufig behauptet wird. Hinsichtlich der Präeklampsie â einer Schwangerschaftsvergiftung â ergibt sich lediglich ein schwacher Hinweis und kein sicherer Beleg für einen möglichen
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