Schwangerschaft ist keine Krankheit
und Genussmittel aufzuklären. Das ist so, als würde man jede Banane mit einem Etikett beschriften, auf dem steht: »Vorsicht beim Verzehr von Bananen, Bananen bergen Risiken! Wenn man sie nicht richtig kaut, kann man daran ersticken. Wenn man zu viele Bananen isst, kann man eine Ãberdosis an Kalium zu sich nehmen. Und auf der Bananenschale kann man ausrutschen und sich ein Bein brechen!« Damit tragen wir ungewollt zu einer »Nahrungsmittelparanoia« bei. Das ist nicht gut.
Der Soziologe Ulrich Beck spricht in diesem Zusammenhang vom »Risikokalkül«. Er charakterisiert dieses Risikokalkül als »die mathematische Moral des technischen Zeitalters« (Beck 1991). Das trifft ins Schwarze: Dieser »mathematischen Moral« sind wir Ãrzte und auch die Patienten komplett unterworfen, weil sie in unseren Köpfen steckt. Wir Ãrzte werden auf diese Weise zu Risikomanagern unserer Patientinnen. Das »Guter-Hoffnung-Sein« bleibt dabei auf der Strecke. Als Schwangere verharren Sie in einer unsicher-abhängigen Wartestellung auf die nächsten Untersuchungsergebnisse von Laborwerten oder Ultraschalluntersuchungen, die ärztlich produziert und mitgeteilt werden. Es ist eine messwertorientierte »Vorsorge«, die keine wirkliche Fürsorge darstellt.
Die Körper-Historikerin Barbara Duden spricht mir aus der Seele, wenn sie in ihrem Wiener Vortrag »Vom Schwangergehen in âºguter Hoffnungâ¹ zur Schwangerschaft als Risikomanagement« sagt, die Schwangerschaft habe sich zu einem Vorgang entwickelt, »in dem die Frau über neun Monate lang das normgerechte Wachstum ihres Konzeptionsproduktes überprüfen soll und dazu mit den entsprechenden âºInformationenâ¹ beliefert wird.« Sie spricht in diesem Zusammenhang von einer neuen Glaubensform: der »Angst der Schwangeren vor dem Risiko« (Duden 2002b).
Ich plädiere hier ganz entschieden dafür, dass der Arzt seine heutige Rolle als normorientierter Kalkulator und Manager von Gesundheitsrisiken im verrechtlichten Gesundheitssystem aufgibt und zu seiner eigentlichen Aufgabe als Vermittler der guten Hoffnung findet. Das ist mein wirkliches Anliegen: Sie, die schwangeren Frauen, sollten den Mut haben, sich vom übertriebenen Risikodenken zu lösen, das Ihnen seit Beginn Ihrer Schwangerschaft suggeriert wird, damit Sie Ihre Schwangerschaft in ebendieser guten Hoffnung erleben können.
Fazit: Haben Sie den Mut, sich vom Risikodenken zu lösen, das Ihnen auf Schritt und Tritt suggeriert wird. Verhalten Sie sich verantwortungsvoll und bewusst in der Auswahl und Zubereitung Ihrer Nahrungsmittel. Dann können Sie zuversichtlich sein, dass Sie Ihrem Kind die bestmögliche Grundlage für sein Wachsen und Gedeihen bieten.
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Kapitel 4
Wie notwendig ist die Reihenuntersuchung auf Schwangerschaftsdiabetes?
Ein Paradefall der »Medikalisierung der Schwangerschaft«
»Ein wachsender Anteil von Menschen weicht von irgendeiner erwünschten oder deklarierten Norm ab und wird als behandlungsbedürftig erklärt.« (Illich 2007)
Folgende Meldung aus der Berliner Charité ging vor einigen Monaten durch die deutschen Tageszeitungen: »6-Kilo-Baby ohne Kaiserschnitt geboren. (â¦) Die 40-jährige Mutter des Buben (â¦) hatte Schwangerschaftsdiabetes. Die Zuckerkrankheit führt ohne Disziplin bei der Ernährung häufig zu einem sehr hohen Geburtsgewicht.« (dpa-Meldung 25.11.2011). Das ist kein Einzelfall: Allein in Deutschland wiegen aktuell etwa 8 bis 10 Prozent aller Neugeborenen zum Zeitpunkt der Geburt mindestens 4 000 Gramm.
Für das zunehmende Ãbergewicht der Babys wird das ebenfalls immer häufiger werdende Ãbergewicht der Mütter verantwortlich gemacht. Ein Drittel aller Schwangeren in Deutschland ist übergewichtig â mit steigender Tendenz. Bei diesen Frauen besteht das Risiko, in der Schwangerschaft eine Zuckerkrankheit (Diabetes) zu entwickeln. Damit sind wir beim Thema dieses Kapitels: beim sogenannten Schwangerschaftsdiabetes.
Schwangerschaftsdiabetes â was ist das?
Treten bei einer Frau erstmals im Rahmen der Schwangerschaft Blut-zuckerwerte auf, die bestimmte Werte übersteigen, spricht man vom Schwangerschafts- oder Gestationsdiabetes. Das ist eine Störung des Zuckerstoffwechsels, die unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann. Manchmal reicht sie bis zum manifesten Diabetes mellitus.
Es gibt Risikofaktoren
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