Schwangerschaft ist keine Krankheit
hingegen sind zahlreiche Untersuchungen gewidmet, auf die ich mich hier beziehe (Bergner 2006).
Starke Beziehung â starke Trauer
Man glaubte lange Zeit, dass eine Frau erst dann eine emotionale Beziehung zum Kind aufnimmt, wenn sie erste kindliche Bewegungen spürt. Heute weià man, dass eine werdende Mutter das Ungeborene schon in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten in ihr Körperbild integriert. Ab dem dritten Schwangerschaftsmonat kommt es zu einer bildhaften Vorstellung vom Kind. Nach dem siebten Monat wird diese Vorstellung dann wieder schwächer und unschärfer (Stern et al. 2000).
Viele Frauen reagieren daher bereits in einem frühen Schwangerschaftsalter mit einer sehr starken Trauer auf den Verlust ihres Ungeborenen.
Die Fehlgeburt gilt als ein traumatisches Ereignis, das von den Frauen in unterschiedlicher Weise verarbeitet wird. Helene Deutsch betreute Frauen mit habituellen Aborten und fand: »Mehrere Male konnte ich mich überzeugen, dass der erste Abortus â was immer seine Ursache gewesen ist â zu einem unüberwindlichen Trauma wurde.« (Deutsch 1995) Manche Frauen empfinden die Fehlgeburt als ein Verlieren eines Teils ihrer selbst, manche fühlen sich völlig unbegründet als »Versagerin«, sie haben Schuldgefühle und Probleme mit ihrem Selbstwertgefühl nach der Fehlgeburt. Wieder andere Frauen empfinden Hass gegen ihren eigenen Körper oder Neid gegenüber schwangeren Frauen und Müttern. Sie haben dann den Wunsch, so schnell wie möglich wieder schwanger zu werden.
In den ersten Tagen und Wochen nach der Fehlgeburt fühlen sich viele Frauen schockiert und wie betäubt. Depressivität und Angst können auftreten. Innerhalb eines Jahres haben die meisten Frauen den Verlust des Babys jedoch verarbeitet.
Fazit: Die Frage nach dem »Warum« bewegt alle Frauen nach der Fehlgeburt. Studien haben ergeben, dass das Gespräch über die möglichen Ursachen für die Bewältigung sehr wichtig ist. Dieses sollte nicht zu früh erfolgen, sondern am besten zwei bis drei Wochen nach der Fehlgeburt (Bergner 2006).
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Das Kind in der werdenden Mutter
Ãhnlich wie die Pubertät oder die Menopause stellt die Schwangerschaft eine verletzliche Phase dar, in der unbewusste Konflikte und Themen früherer Entwicklungsphasen noch einmal erlebt werden. Insbesondere die frühe Beziehung zur eigenen Mutter wird in der Schwangerschaft wieder aktiviert. Gleichzeitig kommt es zu einer starken Identifikation mit der eigenen Mutter.
Darin liegt viel Ambivalenz. Als Schwangere werden Sie wieder in Ihre eigene Kindheit zurückversetzt, erinnern sich an viel Liebe und Zuwendung, aber eben auch an manche Kränkung und Ablehnung, manches Alleingelassen-Werden (Maaz 2009). Ãber lange Zeit vergessene Defizite und alte Wunden werden plötzlich wieder erlebt, wie es auch von dem Familientherapeuten John Bradshaw in seinem berühmten Buch Das Kind in uns (Bradshaw 2000) thematisiert wurde. Das ist schmerzlich. Sie sind ähnlich empfindsam wie als kleines Mädchen â und zugleich sollen Sie nun doch auch selbst Mutter werden. Ein Konflikt tut sich auf.
Während der Schwangerschaft haben viele Frauen den besonderen Wunsch nach Geborgenheit, nach Wärme, nach einer dauerhaft liebevoll zugewandten Bezugsperson â quasi einer »Ersatz-Mutter«. All dies versucht Tender loving Care, zumindest ansatzweise, zu leisten. Es ist das Bemühen, dem kleinen Kind, das in jeder Schwangeren wieder »auftaucht«, nachträglich eine gute, liebevolle Mutter zu sein. In meinen Augen ist dies neben anderen Faktoren ein möglicher Grund dafür, dass Tender loving Care so wirksam ist.
Menschliche Wärme â leider ein teures Gut
Tender loving Care ist besonders zeit- und personalaufwendig, also teuer. Es kann in dieser Form leider nur einer sehr kleinen Gruppe von Patientinnen angeboten werden. Ein niedergelassener Arzt hat in Deutschland durchschnittlich knapp acht Minuten Zeit pro Patientenkontakt. Häufig findet kein nennenswertes ärztliches Gespräch statt. Die meiste Zeit vergeht mit der Erhebung und Auswertung von Messwerten, mit der Diagnosestellung und dem Festlegen einer leitliniengerechten Therapie â meist in Form eines Rezepts.
Vielen Patienten hilft ein solches Vorgehen aber nicht. Das belegt unter anderem eine steigende Anzahl offizieller »Patienten-Fürsprecher«, die zwischen
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