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Schwangerschaft ist keine Krankheit

Schwangerschaft ist keine Krankheit

Titel: Schwangerschaft ist keine Krankheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jael Backe
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schadstoffarme »Schwangerschafts-Camps« in gesunden Biosphären-Reservaten vorstellen, die Schwangere vielleicht in mehreren Jahrzehnten für die Dauer der Schwangerschaft aufsuchen werden, um dort gesund ernährt, sportlich gecoacht und mental angeleitet zu werden, damit Ungeborene eine optimale vorgeburtliche Umwelt erleben können – so eine Art »Wellness für das Ungeborene«.
    Erste Ausläufer dieser neuen Erkenntnisse und der erweiterten Vorsorgekonzepte erreichen uns bereits mit der neu in die Mutterschafts-Richtlinien aufgenommenen Reihenuntersuchung auf das Vorliegen von Schwangerschaftszucker in Deutschland (siehe Kapitel 4). Außerdem wurde im Mai 2011, pünktlich zum 50. Geburtstag des Mutterpasses, im Rahmen des von der Bundesregierung unterstützten Netzwerks »Junge Familie – Gesund ins Leben« ein Projekt gestartet, das erstmals einheitliche Handlungsempfehlungen für die Ernährung in der Schwangerschaft herausgab. Auch dies ist ein Schritt, der zweifelsohne aus epigenetischer Sicht sinnvoll und berechtigt ist. Aber es ist auch ein weiterer Schritt in Richtung gezielter »Programmierung« der Schwangeren.
Eine neue Dimension des Risikodenkens
    Die Vorsorgemediziner aller Fachrichtungen spitzen gerade ihre Ohren: Sie haben den Mutterleib als neue große Bühne und Spielwiese der Prävention gewittert. Bei der Prävention – das Wort kommt vom lateinischen Wort praevenire , das »zuvorkommen, verhüten « bedeutet – geht es um die Verringerung und Vermeidung von Risikofaktoren. Genauer gesagt geht es um die »primäre Prävention«. Deren Ziel ist es, durch bestimmte Maßnahmen wie Impfungen und Ernährungsberatung das Eintreten einer Erkrankung zu verhindern. Noch genauer gesagt: Im Sinne der pränatalen Prägung soll schon das Auftreten von Risikofaktoren für eine Erkrankung des Ungeborenen im Mutterleib verhindert werden. Dies nennt man dann »primordiale Prävention«.
    Mit der Epigenetik bekommt die risikozentrierte Vorsorgemedizin eine neue Dimension: Wurden früher Faktoren aus der Umwelt der Schwangeren als Risikofaktoren definiert, so wird der Frauenkörper nun selbst zum »wandelnden Risikofaktor«.
    Der Buchtitel von Barbara Duden Der Frauenleib als öffentlicher Ort bekommt so eine ungeahnte aktualisierte Bedeutung (Duden 1991). Eine Schwangerschaft ist heute unweigerlich eine Schwangerschaft im Zeichen der Risikogesellschaft. Ihr Zustand als Schwangere, Ihr Gewicht, Ihre Ernährung, Ihr Lebensstil wird ein Teil des öffentlichen Interesses. Eine Frage muss dabei erlaubt sein: Wie weit darf Medizin, Vorsorgemedizin, in das private Leben, in die Intimsphäre eines Menschen vordringen? Geht das nicht bald zu weit?
    Es geht sogar noch weiter. Auch emotionale Erfahrungen, psychischer Stress, mentale Befindlichkeitsstörungen wurden als Faktoren der pränatalen Prägung identifiziert. Erfahren Sie starken emotionalen Stress in der Schwangerschaft, dann wird auch Ihr Kind später lebenslang anfälliger für Stress und für psychische Erkrankungen sein. Werden wir also zukünftig bei der Schwangerenvorsorge Fragebögen austeilen, die das Ausmaß der emotionalen Belastung der werdenden Mutter erheben? Werden zukünftig ab einem festgelegten Wert auf der Depressivitätsskala psychotherapeutische Maßnahmen eingeleitet oder sogar Psychopharmaka verordnet, um beim Ungeborenen spätere psychische Störungen zu verhüten? Wie weit dürfen wir als Vorsorgemediziner gehen, um individuelles Leid zu verhindern und eine allgemeine Gesundheitsförderung zu betreiben? Der Schritt zu einer »totalitären Schwangerenvorsorge« ist dann nur noch klein. Unsere Risikomedizin darf nicht so weit gehen, dass sie schwangere Frauen vorsorglich erdrückt.
Prägung statt Programmierung
    Vielleicht sollte man den Begriff der »vorgeburtlichen Programmierung« überdenken und stattdessen besser von »Prägung« sprechen. Der Ausdruck »Programmierung« beinhaltet zutiefst, dass hier Menschen als Maschinen betrachtet werden, die programmierbar, steuerbar, manipulierbar sind, die »kaputtgehen« können, repariert oder bei Bedarf verschrottet werden.
    Bereits Ende der 1970er-Jahre gab es im Zuge der Technisierung der Geburtshilfe in Deutschland den Begriff der sogenannten programmierten Geburt. Darunter verstand man die medizinische

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