Schwangerschaft ist keine Krankheit
zunehmend zum Patienten.
Die Vorsorgemediziner befassen sich mit Gesundheitsförderung und Krankheitsvermeidung, der Fetus ist ein Objekt der Diagnostik und der Behandlung. Für die Vorsorgemedizin ist das einzelne Ungeborene als Lebewesen nicht wichtig. Ãrzte denken in gröÃeren Zusammenhängen und haben kein Interesse daran, was das Kind als individuelles Lebewesen empfindet. Rechtlich gesehen ist das Ungeborene für sie ein möglicher zukünftiger Kläger, gegen den man sich frühzeitig absichern muss.
Wenn Sie zum Frauenarzt gehen, beschäftigen sich die meisten von diesen mit »der Schwangerschaft«, Ihr Ungeborenes behandeln sie wie einen blinden Passagier. Der Patient sind Sie als Frau, die eben den Fetus als stillen Mitläufer bei sich trägt. Niemand kommuniziert mit ihm, dies ist ja verbal auch gar nicht möglich. Jede Untersuchung und therapeutische MaÃnahme bezieht sich auf Sie als Schwangere und nur indirekt auch auf Ihr Kind.
Das Ungeborene ist Teil des Systems »Schwangerschaft«. Kindliche Organfunktionen werden als Herztonkurve und Ultraschallsignale abgeleitet, es werden sonografische Messungen der kindlichen Körperteile vorgenommen, das fetale Gewicht geschätzt und biophysikalische Profile erstellt. Bei der Fruchtwasseruntersuchung sticht eine Nadel durch die Bauchwand in die Fruchthöhle, den Aufenthaltsort des Ungeborenen, und saugt Fruchtwasser ab. Interessiert es die Frauenärzte, wie Ihr Kind all dies empfindet und was es von uns als AuÃenwelt wahrnehmen kann?
Wer nimmt dieses Wesen Fetus als Subjekt wahr â auÃer Ihnen, der werdenden Mutter? Wer ist dieses Ungeborene überhaupt? Es ist ein ganz früher Mensch, auch wenn es wie ein Eremit zurückgezogen in der Innenwelt »Mutterbauch« lebt. Wir können dieses Wesen nicht sehen. Kann das Ungeborene sich mit uns verständigen? Wir können durch die Bauchdecke der Mutter seine Bewegungen spüren. Wir bemerken seine Ruhephasen und dass es auf verschiedene Stimmen reagiert. Es nimmt uns wahr.
Diesen Themen widmet sich die vorgeburtliche Psychologie. Ãber viele Jahre befand sich diese wissenschaftliche Disziplin in einer AuÃenseiterrolle. Sie wurde von manch einem hartgesottenen Wissenschaftler als esoterisch belächelt, denn wie sollte man die Psyche des Ungeborenen erforschen, wenn man nicht mit dem Fetus sprechen könne? Diese Einstellung hat sich geändert. Wunderbare Bücher wie Das Geheimnis der ersten neun Monate (Hüther und Krens 2008), Nabelschnur der Seele (Hidas und Raffai 2006), Die Seele fühlt von Anfang an (Alberti 2005) oder Der Seelenraum des Ungeborenen (Janus 2000) sind Ausdruck eines neuen Denkens.
Die vorgeburtliche Psychologie wird durch die aktuellen Befunde der epigenetischen Forschung (siehe Kapitel 9) und der Hirnforschung in ungeahnter Weise unterstützt. Zudem wird durch die rasante Entwicklung der Ultraschalltechnologie der Bauch schwangerer Frauen zunehmend »gläsern«. Wir können das Baby in Echtzeit beobachten und sein Verhalten analysieren. Es ist wissenschaftlich »schick« geworden, über das Denken, Fühlen, Wahrnehmen und Verhalten des Ungeborenen nachzudenken. Und das ist gut so.
Womit beschäftigen sich Babys im Mutterleib?
Noch bis vor etwa 30 Jahren glaubte man (und viele glauben dies noch heute), dass wirkliches menschliches Verhalten erst wenige Monate nach der Geburt einsetzt. Vor mehreren Jahrzehnten war man auch noch davon überzeugt, dass Neugeborene keine Schmerzen empfinden könnten. Deswegen wurden neugeborene Babys damals noch ohne Narkose operiert. Dies wurde damit begründet, dass ihr Gehirn noch unreif sei und keine Sinneswahrnehmungen, Gefühle oder Gedächtnisleistungen ermögliche, ganz zu schweigen von der Ausprägung einer Persönlichkeit oder von Denkfunktionen. Der Psychoanalytiker und Wegbereiter der vorgeburtlichen Psychologie in Deutschland, Ludwig Janus, kritisiert, dass das Kind vor der Geburt auch heute »gesellschaftlich noch weithin nur ein biologisches Wesen« ist (Janus 2000).
Der Wissenschaftler David Chamberlain forderte bereits vor 15 Jahren einen Paradigmenwechsel im Denken über das vorgeburtliche Leben und lieferte eine eindrucksvolle Analyse vorgeburtlichen Verhaltens (Chamberlain 1997). Ich greife seine Argumentation im Folgenden teilweise auf.
Aktive Bewegungsmuster
Ihr Baby reagiert keineswegs nur reflexartig
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