Schwangerschaft ist keine Krankheit
möglich sind, führte zu Spekulationen über die »Gebärmutter als Sprachlabor«. Es wurden verschiedene Theorien aufgestellt, wie vorgeburtliche Einflüsse auf den kindlichen Spracherwerb wirken. Ludwig Janus sagt: »Die Gebärmutter ist das erste Klassenzimmer, das jeder besucht.« (Janus 1997)
Bereits vor mehr als 30 Jahren gründete der Frauenarzt Renée van de Carr eine Schule für Ungeborene, die im sechsten Schwangerschaftsmonat startet. Zu diesem Zeitpunkt erreicht die Ausbildung des kindlichen Gehirns einen Höhepunkt. Zur intrauterinen Schulung gehörte das Vorspielen von Trommelrhythmen, die der Herzfrequenz ähneln, Musik- und Sprachdarbietungen sowie die »Berührung« des Kindes durch die mütterliche Bauchdecke. Angeblich bewirkte dieses Vorgehen zufriedenere Neugeborene mit geringeren Schreiphasen.
Ãhnliche Ansätze liegen beispielsweise auch dem wissenschaftlich umstrittenen »Mozart-Effekt« zugrunde, bei dem durch Vorspielen von Mozarts Melodien im Mutterleib die Denkleistung bei Kindern gefördert werden soll. Neuerdings gibt es sogar eine App, die »Baby Music & Prenatal Training« heiÃt und die mit klassischer Musik arbeitet.
Derartige intrauterine »Schulungen« werden zum Teil sehr kritisch beurteilt. Ungeborene würden durch solch ehrgeizigen Aktivismus der Eltern aus ihren Schlafphasen gerissen und gerade dadurch am Lernen gehindert, warnen manche Psychiater. Andere kritisieren die mögliche Reizüberflutung.
Zuwendung ist wichtiger als Schulung
Wenn Sie Ihr Kind schon vor der Geburt fördern wollen, dann können Sie trotzdem vieles tun: Wenden Sie sich ihm innerlich zu, erzählen Sie ihm Geschichten, singen Sie ihm vor. Kurzum: Binden Sie es in Ihr tägliches Leben ein und vermitteln Sie ihm, dass es willkommen und gewollt ist (Janus 1997).
Ludwig Janus spricht vom zentralen »Lerninhalt« in der Zeit vor der Geburt, »dass die Kinder in ihrer Existenz willkommen und geliebt sind« (Janus 1997). Das Entscheidende ist schon für den ganz frühen Menschen die Beziehung zu anderen.
Janus plädiert dafür, dass jedes Kind vor der Geburt einen »emotionalen Raum« für seine Entwicklung braucht. Nicht nur das Erheben biologischer Messdaten sei für die Schwangerenvorsorge wichtig. Vielmehr sei ein ganz essenzieller Teil der Vorsorge die Frage danach, wie es Ihnen mit Ihrem Kind geht, wie Sie seine Bewegungen spüren, ob Sie mit ihm kommunizieren â also die Frage nach der Beziehung. Die Förderung dieser vorgeburtlichen Beziehung wäre ein ganz wichtiger Bestandteil der Schwangerenvorsorge â Schwangerenvorsorge könnte eben auch Beziehungsfürsorge sein.
Leider suchen wir im Mutterpass vergeblich eine Rubrik zu diesen Themen. Auch die maÃgeblichen Lehrbücher der Schwangerenvorsorge und Geburtsmedizin enthalten keine Kapitel darüber. Das Ungeborene als »erlebendes Wesen«, wie es Janus nennt, existiert in unseren frauenärztlichen Lehrbüchern und Köpfen leider noch nicht. Das ist eine bedauerliche Ignoranz, ein Tunnelblick, der den Frauenärzten bereits im 19. Jahrhundert die abwertende Bezeichnung »Uterus-Ingenieure« eingebracht hat.
Fazit: Zum Glück sind schwangere Frauen wie Sie von Natur aus empfindsam, intuitiv und emotional. Sie wissen instinktiv sehr gut, was Sie selbst benötigen und was Ihr Kind braucht. Sie wissen, wann es ihm gut geht und wann nicht. Dieses untrügliche Gefühl für die Bedürfnisse Ihres Babys und Ihrer selbst muss Ihnen niemand in Kursen oder Schulungen beibringen. Auf Ihr gutes »Bauchgefühl« können und sollen Sie als Schwangere ruhig bauen. Bleiben Sie selbstbewusst und wenden Sie sich Ihrem Kind in der Schwangerschaft liebevoll zu. Dann geben Sie ihm die beste Mitgift für sein späteres Leben. Dies ist nicht immer leicht, denn die persönlichen, politischen und beruflichen Lebensumstände für Sie als Schwangere und für viele Schwangere weltweit sind nicht immer so rosig, wie wir uns das wünschen würden.
Stress in der Schwangerschaft â hyperaktives Kind?
Der Gehirnforscher Gerald Hüther und die Psychotherapeutin Inge Krens haben sich mit den Auswirkungen mütterlicher Stresserlebnisse auf das Ungeborene auseinandergesetzt (Hüther und Krens 2008). Sie unterscheiden verschiedene Arten von »Stress«. Erheblicher Stress kann unter anderem
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