Schwangerschaft ist keine Krankheit
Schwangeren im Rahmen der Schwangerenvorsorge laut. Gemäà einer aktuellen Studie fanden 48 Prozent von 651 befragten Frauen eine Stillberatung in der Frauenarztpraxis sehr wichtig, und nur 64 Prozent hatten dort eine derartige Beratung erhalten. Daraus wird ein Beratungsdefizit bezüglich des Stillens abgeleitet (Borrmann 2011).
Ist das Maà an Beratung nicht langsam voll? Kann man dieses Angebot überhaupt noch verkraften und verarbeiten? Müssen wir jungen Frauen tatsächlich in Kursen beibringen, wie sie zu atmen haben, wie sie ihren Körper erleben sollen und wie sie sich auf eine Geburt vorbereiten?
Was »kann« eine Schwangere?
Ob es einen Mutterinstinkt beim Menschen gibt, ist ein viel diskutiertes und ideologisch belastetes Thema. Nehmen wir als Beispiel das Stillen. Viele Menschen glauben heute, dass das Stillen eine Sache des Instinkts, also ein angeborenes Verhalten sei. In Marilyn Yaloms Buch Eine Geschichte der Brust können wir jedoch lesen, dass anthropologische und medizinische Studien heutzutage ausreichend Beweise dafür liefern, »dass es bei Frauen keinen âºSäuge-Instinktâ¹ gibt; das Stillen muss wie jedes andere soziale Verhalten durch Beobachtung oder Anleitung gelernt werden.« (Yalom 1998)
Dass ein solches Lernen im Umgang mit dem neugeborenen Baby jedoch sehr schnell geht, hat das Forscher-Ehepaar Papousek in den 1990er-Jahren gezeigt. Obwohl das Baby ein zunächst fremdes Wesen ist und die meisten Menschen keine Erfahrungen im Umgang mit Babys haben, lernen Eltern schnell, sich so zu verhalten, dass ihr Baby gut aufwachsen kann. Die zugehörigen Lernprozesse verlaufen unbewusst. Die Papouseks nannten dies »intuitives Elternverhalten« (Papousek und Papousek 1987). Es zeigt sich unter anderem im »automatischen« Prüfen des Wachheitszustandes des Babys durch Berühren der kleinen Händchen. Auch wenn Sie den Blick Ihres Kindes erwidern, indem Sie Ihre Augen erweitern, wenn Sie mit melodischer Stimme sprechen oder Gesten wiederholen, wenn Sie Ihr Kind rhythmisch wiegen und es durch Körperkontakt besänftigen, wenden Sie intuitiv das »Elternrepertoire« an. Ãbrigens zeigen bereits gröÃere Kinder dieses intuitive Verhalten gegenüber Babys.
Dieses Elternverhalten hat sich im Laufe der Evolution entwickelt. Es passt jeweils genau zu den Fähigkeiten und Lernmöglichkeiten des heranwachsenden Kleinkindes. Die Kinder sind dabei die Lehrmeister und Kommunikationstrainer ihrer Eltern.
Wozu Kurse gut sind
Es sieht demnach so aus, dass Sie Ihr zukünftiges Verhalten als Mutter tatsächlich zu groÃen Teilen erst lernen müssen, auch wenn es dabei intuitive Elemente gibt. Doch in unserer modernen Gesellschaft sind uns Lebensvorgänge wie Schwangerschaft, Geburt und Wechseljahre, Ãlterwerden und Tod oftmals fremd geworden, sie ängstigen uns.
Die angebotenen Kurse haben also teilweise durchaus eine Berechtigung. Zudem sind die Menschen heute verunsichert. Sie haben ihre gesundheitlichen Belange an Medizinexperten delegiert und lassen sich von diesen dirigieren. Früher haben die Frauen miteinander geredet, man half sich gegenseitig und gab von Frau zu Frau weiter, was es zu wissen gab. Diese sozialen und familiären Strukturen gibt es heute nur noch selten: Viele Frauen sind alleinerziehend. Zudem haben viele Frauen nicht die Gelegenheit, sozial Fuà zu fassen, da junge Familien häufig beruflich bedingt umziehen und berufstätige Frauen viel auf Reisen sind.
Die Teilnahme an Kursen ermöglicht die Aufnahme sozialer Kontakte mit Gleichaltrigen und mit Frauen in ähnlichen Lebenssituationen. Das ist für viele Frauen sehr wichtig. Es stellt eine Chance zur Integration in einer mobilen, individualisierten Gesellschaft dar.
Die angebotenen Kurse und Schulen versuchen, menschliche Nähe zu ersetzen und weibliches Wissen zu vermitteln. Sie vermitteln dabei aber indirekt auch die Botschaft, dass Sie als Schwangere unmündig und »körper-dumm« sind. Damit tragen die Kurse zu einer zunehmenden Bevormundung und Entmündigung bei. Für welches Thema kann man sich heute eigentlich nicht professionell beraten lassen? Beratung ist ein Dienstleistungsgewerbe mit hohem Wachstumspotenzial. Das Defizit an Wissen und an sozialer Nähe wird institutionell organisiert, staatlich unterstützt und kommerziell vermarktet. Ganze Berufsstände leben davon.
Fazit: Kurse
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