Schwangerschaft ist keine Krankheit
des Geburtsmodus auf die Mutter-Kind-Bindung (Durik et al. 2000, Hannah et al. 2004). Das hat mehrere Gründe. So tragen die gut steuerbaren Verfahren der Rückenmarksnarkose zur schnellen Ansprechbarkeit der Mutter nach der Geburt bei. Auch hat das Neugeborene möglichst sofort nach der Geburt direkten Hautkontakt zur Mutter oder dem frischgebackenen Vater. Das stimuliert die Bindung zwischen Vater oder Mutter und Kind (Velandia et al. 2010).
Auch in meiner Sprechstunde berichten mir immer wieder junge Mütter nach einem Kaiserschnitt: Der Kaiserschnitt tut der Liebe zwischen Mutter und Kind keinen Abbruch. Ãbrigens kommt es nach Kaiserschnitten auch nicht häufiger zur mütterlichen Wochenbettdepression, wie fälschlich immer wieder behauptet wird (Sword et al. 2011).
Gibt es eine »Kaiserschnitt-Persönlichkeit«?
In den USA gibt es eine Gruppierung, die nach den psychischen und sozialen Auswirkungen des Kaiserschnitts auf Neugeborene fragt (English 1997). Wissenschaftlich ist dieser Ansatz nicht haltbar, da er von der Methode her eher intuitiv, sehr subjektiv und spekulativ bleibt. Er basiert auf den Erinnerungen und Erfahrungen von Einzelpersonen. Dennoch ist der Gedankengang interessant, weil er sich nicht nur auf die mütterliche Erfahrung bezieht, sondern nach dem Erleben des neugeborenen Kindes fragt. Aus diesem Grunde will ich diesem Gedanken hier Raum geben.
English geht davon aus, dass die »kosmische Einheit« zwischen Mutter und Kind durch den Kaiserschnitt abrupt zerstört wird. Sie spricht vom »Kampf mit dem Arzt«, der die Atmung des Neugeborenen stimuliert. Das Neugeborene baue eine Bindung zu diesem auf, die bald wieder unterbrochen werde. Jane English beschreibt, dass die »Lektion der vaginalen Geburt« im Erfahren eines langsam fortschreitenden Prozesses besteht. Beim Kaiserschnitt hingegen erfahre das Neugeborene etwas Unerwartetes, Plötzliches, das durch fremde Hilfe geschieht. Daraus resultiert laut English eine »Kaiserschnitt-Persönlichkeit« des Neugeborenen, die unter anderem durch Berührungsempfindlichkeit bei zugleich starkem Wunsch nach Körperkontakt, Wut gegen potenzielle Helfer, eine sehr negative Selbstbeurteilung sowie durch den Anspruch auf totale Versorgung durch andere geprägt sei.
Aufgrund dieser Beobachtungen fordert Jane English, dass die Geburt nicht als rein medizinisches Geschehnis, als »Operation« angesehen werden dürfe. Vielmehr müsse sie ein möglichst liebevoll begleiteter »Teil des menschlichen Lebensprozesses« sein. »Beim Kaiserschnitt geht es um die BegrüÃung eines neuen Menschen, nicht um eine Operation. (â¦) Wir müssen fragen, wie wir diese Geburt besser gestalten können.« (Englisch 1997)
Auf diesem Wege sind wir heute in meinen Augen einen Schritt weiter gekommen: Bei vielen Kaiserschnitten läuft beruhigende, harmonische Musik im Hintergrund, man versucht das Neugeborene so sanft wie irgend möglich zu behandeln und ermöglicht den frühen Hautkontakt zur Mutter oder zum Vater.
Die Geburt als Erlebnis â die Geburt als Risiko
Betrachtet man ganz rational die Risiken der spontanen Geburt im Vergleich zum Kaiserschnitt, so stellt sich die Frage, warum überhaupt noch 70 Prozent aller Frauen eine natürliche Geburt wünschen und diese auch geschehen lassen. Wieso riskieren die Frauen so viel für ihr Baby und auch für sich selbst? Warum gehen sie so viele Unwägbarkeiten ein, wenn doch das rein rechnerische Risiko für Mutter und Kind beim Kaiserschnitt niedriger ist? Gibt es noch ein anderes, viel wichtigeres Argument?
Die Antwort geben uns die vielen Internetseiten, die sich um Schwangerschaft und Geburt drehen, die Internetforen, Chatrooms und Communitys, in denen sich alles um das eine Wort dreht: »Erlebnis«. Einige Beispiele 5 :
Unter www.babywelt.de kann man lesen: »Während der Geburt erreicht jede Frau die Grenzen des Möglichen â sei es im Hinblick auf Schmerzen, Leistungen oder Erlebnis (-bewältigung).«
In der Geburtshilfebroschüre des Kreiskrankenhauses Osterholz steht: »Die Gründung einer Familie stellt ein einmaliges Glückserlebnis für junge Paare dar (â¦). Wir möchten Ihnen helfen, die Geburt zum Erlebnis werden zu lassen (â¦).«
Unter www.rund-ums-baby.de heiÃt es: »dieses einzigartige Erlebnis (â¦) ist so komplex und wundervoll, dass es
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