Schwangerschaft ist keine Krankheit
Wochenbettstation des Krankenhauses. Dort begann die dauernde Belehrung der frischgebackenen Mutter durch sogenannte Stillberaterinnen. Andrea sollte ihr Baby alle zwei Stunden anlegen â trotz schmerzender Brustwarzen. Das Kind wurde deswegen immer wieder aufgeweckt, man »verbot« ihr, Stillhütchen zu verwenden, auch Stilleinlagen wurden von den Beraterinnen abgelehnt. Ihre Stillhaltung und die Position des Kindes wurden kritisiert, das Kind mache den Mund nicht richtig auf. Nichts konnte sie richtig machen. Sie sei in eine regelrechte »Stillverwirrung« geraten. Erst als die junge Frau mit dem Kind zu Hause war, klappte das Stillen. Sie habe beinahe aufgegeben wegen des »Stillfanatismus« der betreuenden Hebammen und Stillberaterinnen, obwohl sie eigentlich sehr gerne stillen wollte.
Fallbeispiel: Angelika K., 33 Jahre
Vor einigen Tagen stellte sich Angelika K., eine Lehrerin, bei mir zur Untersuchung acht Wochen nach der Geburt ihrer kleinen Tochter vor. Sie hat bereits eine drei Jahre alte Tochter. Die Geburt war sehr anstrengend und dauerte lange. SchlieÃlich wurde ein Kaiserschnitt durchgeführt, weil das Kind sich nicht richtig in das mütterliche Becken einstellte. Mutter und Kind sind jetzt wohlauf.
Die Probleme begannen erst nach der Geburt auf der Wöchnerinnenstation eines Krankenhauses, das die zertifizierte Bezeichnung »babyfreundliches Krankenhaus« verliehen bekam und eine gleichlautende Plakette tragen darf. Die junge Frau hat den Eindruck gewonnen, dass dort ein starres »Still-gesetz« mit dem Inhalt »Jede Wöchnerin kann und muss stillen« herrscht. Sie war durch die Strapazen der Geburt sehr erschöpft und habe das Kind sehr oft anlegen müssen. Irgendwann waren die Brustwarzen wund und schmerzten stark. Sie bat die Stationsschwestern und Hebammen, wenigstens einmal eine Nacht schlafen zu dürfen und dem Baby in dieser Nacht etwas zufüttern zu dürfen. Dies sei auf strikte Ablehnung gestoÃen. Sie habe aber schlieÃlich darauf bestanden, weil sie keine Kraft mehr hatte.
Ab diesem Zeitpunkt habe man sie dauernd spüren lassen, dass das, was sie getan habe, schlecht gewesen sei. Am nächsten Morgen sei ihr das Baby mit der Bemerkung gebracht worden, dass das Kind durch das Zufüttern jetzt Magenschmerzen habe, es habe bereits erbrochen. Sie fühlte sich fortan schuldig und unfähig â wie eine schlechte Mutter.
In ihr sei langsam die Entscheidung gereift, nicht mehr zu stillen, da der Druck auf sie zu hoch wurde. Als sie diese Entscheidung auf der Wochenbettstation mitteilte, sei man dort entsetzt gewesen und habe versucht, ihre Entlassung immer wieder von Tag zu Tag zu verschieben. Angelika sah mich an und sagte leise, mit gesenkter Stimme und Tränen in den Augen: »Ganz ehrlich, Frau Doktor, ich habe in diesem Krankenhaus fast begonnen, mein eigenes Kind abzulehnen â¦Â«
Angelika findet, dass so ein Vorgehen nicht mehr »babyfreundlich« und noch weniger »mütterfreundlich« sei. Es erzeuge letztlich eine Ablehnung des Stillens, vielleicht sogar des Säuglings in der jungen Mutter. Inzwischen stillt sie wieder. Zu Hause ging dann alles gut, besser als in einem Krankenhaus, das aktuell unter dem Druck der Re-Zertifizierung als »babyfreundliches Krankenhaus« steht und diesen Druck an die Wöchnerinnen weitergibt.
Angelika sagte mir, dass es viel Kraft und Mut gekostet habe, sich auf dieser Wochenbettstation gegen ein dort herrschendes Dogma durchzusetzen und ihre eigenen Bedürfnisse anzumelden.
Fallbeispiel: Monika T., 40 Jahre
Monika T. ruft mich an, um mir von der Geburt ihres Sohnes vor zwei Wochen zu berichten. Sie war nur vier Stunden im KreiÃsaal, alles ging schnell, Monika ist sehr glücklich. Vor fünf Jahren hat sie bereits ein Mädchen zur Welt gebracht. Damals entwickelte sich in der Stillzeit eine schwere Brustentzündung, aus der ein Abszess entstand. Dieser musste operiert werden. Diese unangenehme Erfahrung steckte Monika noch in den Knochen und sie hatte Angst davor, wieder zu stillen.
Sie erzählt mir nun, dass das ganze Personal im »babyfreundlichen Krankenhaus« sich rührend um sie gekümmert habe, sie stille jetzt, nach einer Woche Aufenthalt im Krankenhaus, völlig problemlos. Das habe sie sich alleine nicht mehr zugetraut.
Was ist ein »babyfreundliches Krankenhaus«?
Sogenannte babyfreundliche Krankenhäuser erkennen Sie an
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