Schwartz, S: Blutseelen 2: Aurelius
Kind gewünscht, auf das er stolz sein konnte und das ihn überlebte. Er berührte seine glatte Stirn. Auch wenn er noch immer jung aussah und sich kaum verändert hatte, spürte er sein Alter. Er würde keinen Erben haben. Er war froh, dass in diesem Moment Tumult am Tor ausbrach und er nichts mehr zu dem Thema sagen musste.
Schreie und Rufe drangen zu ihnen herüber.
„Was ist da los?“ Noch während er fragte, machte Darion sich auf den Weg und rannte zum Haupttor des Lagers. Sechs Pferde standen da. Eines war ohne Reiter. Trotzdem stand das Tier still und machte keinerlei Anstalten, davonzustürmen.
„Was hast du gesagt?“, fragte eine helle, schneidende Stimme, die einen schwedischen Einschlag hatte. „Wiederhole das, Gefreiter Dengels.“
Der Soldat am Tor sah trotzig zu seinen beiden Kameraden, dann starrte er zurück auf die Neuankömmlinge. Er hob stolz das Kinn. „Ich hab‘ gesagt, dass de erst mal en Bart bekommen sollst, bevor de meinst, uns in de Schlacht führen zu können, Herr Hauptmann.“
Darion schüttelte den Kopf. „Es ist so weit. Das ist Peters letzter Tag. Mal ehrlich, wo hat dieser Sohn eines Milchbauern sein Gehirn?“
Aurelius antwortete nicht. Er starrte auf den zierlichen Hauptmann in der schlichten Kleidung, dem breiten Kragen und dem gefiederten Hut. Das war eine halbe Portion, ein adeliger Junge, der nicht mal im Stimmbruch gewesen zu sein schien. Er konnte Peter verstehen, auch wenn er derselben Meinung wie Darion war. Dieses Mal würde der Gefreite bluten. Respekt gegenüber einem Vorgesetzten war oberste Pflicht im Lager.
Der fremde Hauptmann bewegte sich mit einer Geschwindigkeit, die Aurelius blinzeln ließ. Er packte den Gefreiten mit einer Hand, riss ihn am Hals hoch und schleuderte den überrascht aufschreienden Mann zu Boden. Der befiederte Hut segelte davon, als er wie ein Raubtier über den Unglücklichen herfiel, sich auf ihn setzte und ihm die Faust ins Gesicht hämmerte. Es krachte vernehmlich. Blut spritzte. Der überraschte Aufschrei wurde zu einem lauten Brüllen.
Der fremde Hauptmann stand auf und bückte sich nach seinem Hut. Er zupfte sich am Kragen, als müsse er ihn glätten. Aurelius kam nicht umhin, ihn anzustarren. Die kurzen, goldblonden Haare schimmerten im Licht. Der Mann hatte die blausten Augen, die Aurelius je gesehen hatte. Sie spiegelten einen azurblauen Himmel. Aber diese Einzelheiten waren es nicht, die ihn derart gefangen nahmen. Es war das Wissen, den Fremden zu kennen. Doch woher? Im Lager hatte er ihn ganz sicher noch nie gesehen.
Der Hauptmann lächelte und kam direkt auf Aurelius und Darion zu. „Mein Name ist Tatjen Mardorff. Würdet ihr bitte die Freundlichkeit besitzen, mich ins Lager zu führen, oder habt ihr ergänzende Anmerkungen zu den Zweifeln eures Kameraden?“
Aurelius straffte die Schultern. „Nein, Herr Hauptmann. Wir führen euch ins Lager. Folgt mir.“
Sie brachten den Hauptmann zum Generalszelt und redeten noch lange über den Vorfall.
Als Aurelius am Nachmittag zu Edita kam, war ihr Blick vorwurfsvoll. „Wo warst du so lange? Hattest du mit dem Neuen zu tun? Diesem Mardorff?“
Überrascht bemerkte er, wie eifersüchtig sie klang. Er lächelte. „Hast du Bedenken, ich könne mich in einen
Mann
verlieben?“
Ihr Blick war verärgert. „Dieser Mann ist so knabenhaft, dass er eine Frau sein könnte.“
„Aber er ist keine. Du wirst albern, Edita.“
Sie wandte sich von ihm ab. „Vielleicht. Er ist schön. Und ich werde alt. Ich verstehe nicht, warum du dich nicht veränderst. Warum alterst du nicht, Aurelius?“
„Auch ich habe mich verändert.“
Sie schüttelte den Kopf. „Dein Gesicht sieht noch genauso aus wie vor zwei Jahrzehnten. Man könnte meinen, es seien übernatürliche Kräfte am Werk. Im Lager verspotten sie uns. Sie verstehen nicht, wie sich ein so junger Mann eine alte Vettel wie mich nehmen kann.“
Er ging zu ihr und schloss sie in die Arme. „Du bist keine alte Vettel, mého poklada. Du bist schön.“ Er küsste sie und spürte, wie sie sich augenblicklich entspannte und an ihn schmiegte. Seine Hände schlossen sich um ihre Brüste. „Es wird bald in die Schlacht gehen. Zum Befreiungsschlag. Willst du da wirklich mit mir streiten?“
Sie presste den Kopf an seine Brust. „Ich will nicht streiten, Gott bewahre. Aber ich verstehe es nicht. Es gibt Tage, da bist du mir fremd wie in der ersten Stunde. Als wärst du ein Stern am Himmelszelt, unendlich fern und nie zu
Weitere Kostenlose Bücher