Schwartz, S: Blutseelen 2: Aurelius
Ferne. Die Unruhe im Lager war auf ihn übergesprungen und ließ ihn keinen Schlaf finden. „Was denkst du, wann geht es los?“
„Vermutlich morgen, spätestens übermorgen. Mal sehen, wann die Herrschaften da oben sich bequemen. Angeblich kundschaften noch welche aus. So wie es aussieht, wird die Stadt noch belagert.“
Aurelius sah zum fernen Wald, hinter dem sich viele Kilometer entfernt die Festungsstadt Hanau verbarg. Vor Jahren wäre er mit Edita und Darion gern nach Hanau geflohen, da die Stadt mit dem Winterkönig und somit ihrer ehemaligen Heimat verbündet war. Zu ihrem Glück hatte das Schicksal sie andere Wege gehen lassen. Verarmt hatten Darion und Aurelius keinen besseren Rat gewusst, als sich als Söldner zu verdingen. Obwohl sie mehrere Schlachten überstanden hatten, war ihr Leben – derzeit als Fußvolk des Landgrafen Wilhelm V. von Hessen-Kassel, den man auch „den Beständigen“ nannte – besser als das Leben in der angeblich seit vielen Jahren „freien“ Stadt Hanau. Obwohl Hanau erst seit einem knappen Jahr von den Römisch-Katholischen besetzt war, hatte das Leid der Stadt viel früher begonnen: als sie an die Schweden übergeben worden war.
Sicher, ohne die Schweden wäre alles verloren gewesen, und auch Aurelius' Entsatzheer unterstand ihnen. Doch was die angeblich Verbündeten mit der Stadt und ihrer Umgebung angefangen hatten, stand einer Besatzung durch einen Feind kaum nach. Der Umkreis war verwüstet worden, und in der Stadt selbst herrschte tiefes Elend.
Nun lag ihr Entsatzheer bereit, und bald würden sie aufbrechen, die Römisch-Katholischen unter General von Lamboy zu besiegen und die Stadt zu befreien oder zu sterben. Ihr Herr, der Beständige, hatte Familienbande, die ihn Hanau gegenüber verpflichteten, und obwohl er selbst in Bedrängnis war, wollte er die Stadt befreien. Damit würden sie auch die Schweden befreien, und ob dann tatsächlich bessere Zeiten für Hanau kommen würden, stand in den Sternen.
Vermutlich würde es besser sein, nach der Schlacht weiterzuziehen. Wenn sie überlebten.
„Ich frage mich, wann dieser neue Anführer endlich auftaucht.“ Er schwieg und dachte an den letzten Kommandanten, den er gehabt hatte. Fortuna war ihm nicht gewogen gewesen. Sein Schiff war auf dem Main auf ein zweites aufgefahren, und beide Schiffe waren untergegangen. Der Hauptmann gehörte zu den Unglücklichen, die ersoffen waren.
Darion spuckte aus. „Ist mir egal. Die sind alle gleich. Hauptsache, er zahlt.“
Aurelius nickte. Es war widerwärtig, dass er sich als Söldner verdingen musste. Aber Edita hungerte. Wie sollte er sich und sie ernähren? Er brauchte den kärglichen Sold, mit dem er an die Front getrieben wurde. Er brauchte die relative Sicherheit der soldatischen Lager, in denen Frauen und Kinder zurückblieben, wenn die Männer in die Schlacht zogen. Schon lange kämpfte er nicht mehr, weil er gläubig war. Seinen Glauben hatte er ebenso verloren wie seine Hoffnung auf bessere Zeiten. In diesen Tagen kämpfte jeder gegen jeden. Die Religion war nur ein Vorwand. Es ging um Macht, um Länderpolitik. Zumindest weiter oben. Für ihn ging es um den Kanten Brot, den er an einem Tag hatte oder nicht hatte, und um das Fleisch, das ihm als Soldat zustand.
Wäre es besser gewesen, wenn sie nicht nach Hessen geflohen wären? Er schüttelte den Kopf. Kriege herrschten überall. Sie waren wie Feuer, die sich nicht löschen ließen. Es gab keinen Frieden mehr auf dem Erdenball. An allen Orten wurde gekämpft und gestorben.
Darion reichte ihm einen Trinkbeutel mit scharfem Brand darin. „Auf unseren Sieg. Treten wir Goldlöckchen in den Arsch und dem schottischen Rammler gleich mit.“
Aurelius grinste. „Schottischer Rammler“ war Darions Spitzname für Jakob von Ramsay, den schottischen Befehlshaber der Schweden, und „Goldlöckchen“ bezeichnete den Besetzer der Stadt, den französischen General von Lamboy, der mit einem üppigen Haarwuchs gesegnet war. Aurelius nahm den Beutel und trank in tiefen Schlucken.
Darion wechselte das Thema. „Wie geht’s Edita? Trauert sie noch immer, weil ihr keine Kinder habt?“
„Ich glaube, sie hat sich damit abgefunden. Ihre Freundin Magrete hat vor zwei Monaten das sechste Kind verloren. Ich bin froh, dass uns das erspart bleibt.“
„Deine Bälger wären bestimmt zäher. Unkraut vergeht nicht.“
Aurelius schwieg. Obwohl Kinder starben wie Fliegen – und die Mütter oft genug gleich mit – hatte er sich ein
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