Schwartz, S: Blutseelen 2: Aurelius
dreißig Grad links!“
„Das hatte ich mir einfacher erhofft“, flüsterte Darion. Aurelius wollte ihm beipflichten, als der Donner erneut erklang und genau vor ihnen die Welt explodierte. Schreie wurden laut. Die Pikeniere wurden auseinandergerissen. Eine Titanenfaust hämmerte auf seinen metallenen Helm ein. Etwas bohrte sich in seine Stirn. Der Gestank nach Pulver war das Letzte, das Aurelius roch. Der Himmel verschwamm über ihm, und er spürte warmes, feuchtes Blut an seinem Kopf hinunterlaufen. Die Sprenggranate war keine zehn Schritte entfernt explodiert. Die Welt wurde dunkel und still.
Als er wieder zu Sinnen kam, war der Nebel so dicht geworden, dass er alle Geräusche dämpfte. Leichen lagen um ihn herum. Jede Faser seines Körpers schmerzte.
„Darion?“ Er setzte sich mühsam auf und versuchte, sich zu orientieren. „Darion!“ Keine Antwort.
Aurelius kam auf die Knie. Er stützte sich dabei versehentlich auf dem Brustkorb vom toten Stefan ab, der ein Loch im Gesicht hatte. Blut bedeckte den Brustharnisch, auf dem Aurelius' Hand lag. Es roch metallen und erdig. Sein Magen zog sich bei dem Geruch zusammen, gleichzeitig peitschte das Adrenalin durch seinen Körper.
Er kam auf die Füße, wankte und versuchte, die Nebelschwaden mit seinen Blicken zu durchdringen. Pferde schnaubten, aber sie waren ein gutes Stück entfernt. Vermutlich befanden sie sich auf der bereits gesichteten Lichtung. Noch immer grollten Geschütze. Einige ganz in der Nähe. Es musste die Artillerie seines eigenen Heeres sein. Der Kampfplatz hatte sich verlagert. Aurelius sah sich nach seiner Pike um, aber sie war nicht mehr da. Irgendein anderer hatte sie mitgenommen.
„Darion!“ Wo war sein Bruder? Er rückte seinen Helm zurecht und lief in den Nebel hinein. Die Bäume umstanden ihn wie stumme Wächter. Wie lange hatte er auf dem Boden gelegen? Minuten? Stunden?
Einen Moment erschien es ihm, als gebe es nur Tote um ihn her, dann sah er die ersten Schemen. Sie kämpften weiter vorn, am Rand seines Sichtfeldes. Er taumelte vor und zog den Dolch aus der Halterung an seinem Gürtel.
„Aurelius!“, brüllte Darions Stimme rechts von ihm. „Pass auf!“
Instinktiv wandte sich Aurelius um und sah einen vierbeinigen Schatten, der auf ihn zusprang. Der Schatten war der eines Tieres. Ein Wolf? Er riss den Dolch nach oben und wich gleichzeitig aus. Was zum Teufel hatte ein Wolf in dieser Schlacht verloren?
Der Dolch fuhr vor und schnitt über die zuschnappende Schnauze. Das Raubtier hatte die Größe eines jungen Bären. Sein weißes Fell war zottig, die roten Augen bohrten ihren Blick in seinen.
„Vampir“, hörte Aurelius eine zornige Stimme in seinem Kopf. Gleichzeitig roch er den Lupus. Es war ein alter, unangenehm vertrauter Geruch, der Hass in ihm auslöste. Verwirrt wich er zurück. Was passierte mit ihm? In seinem Kopf hörte er die Stimme, die er seit Monaten nicht mehr gehört hatte. Sie klang kompromisslos: „Zeit zu töten.“
Der Wolf setzte elegant zur Seite und kauerte sich zum nächsten Sprung zusammen.
Aurelius riss den Dolch hoch und sah aus den Augenwinkeln Darion, der auf ihn zurannte, die meterlange Pike in beiden Händen. Darion schrie und stürmte auf die Bestie zu.
Sie wich dem Angriff mit einem weiten Satz aus und sprang fast übergangslos an seine Kehle.
„Nein!“ Aurelius stieß mit dem Dolch zu und rammte ihn tief in die Seite der Bestie, wo er zwischen den Rippen stecken blieb.
Darion röchelte. An seinem Hals klaffte eine stark blutende Wunde.
Die Wut in Aurelius explodierte bei diesem Anblick. Er packte den Wolf an den Hinterbeinen und schleuderte ihn zwei Meter durch die Luft gegen einen Baum. Es knackte hässlich, das Tier jaulte auf und verstummte.
Er nahm sich nicht die Zeit, sich weiter um das Raubtier zu kümmern. Seine Augen waren feucht, als er sich neben Darion kniete und mit seinen Händen die Wunde zu verschließen versuchte. Blut quoll über seine behandschuhten Finger.
„Bruder“, flüsterte er. „Halt durch.“
Darions Gesicht war bleich. Seine Lider flatterten und aus seinem Mund lief eine rote Blutspur. Offensichtlich waren Luft- und Speiseröhre verletzt. Aurelius hatte sich nie zuvor so hilflos gefühlt.
„Bitte nicht“, keuchte er.
„Es ist zu spät“, sagte eine helle Stimme neben ihm. Azurblaue Augen sahen ihn an. Es war Tatjen, der sich zu ihm hockte. „Aber ich kann ihn retten.“
„Du ...“ Aurelius wusste nicht, was er sagen sollte.
„Geh
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