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Schwarz

Schwarz

Titel: Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Nähe. Und verlier Mutter und Yamila nicht aus den Augen«, befahl er seinem kleinen Bruder und stupste ihn freundschaftlich mit dem Ellbogen an. Sie betraten den Wald, der vom Gesang der Vögel und dem Zirpen der Heuschrecken erfüllt war. Gierig atmete der Junge die frische Luft und die angenehmen Düfte ein und betrachtete die Eukalyptusbäume, die Akazien, die Kakteen, die Jacaranda-Bäume mit ihren violetten Blüten, die großen Affenbrotbäume und die an Ästen hängenden Nester der Webervögel. Genau wie zu Hause, nur dass er hier ständig um sein Leben fürchten musste. Die Mutter und die Schwester gingen zwanzig Meter voneinander entfernt in die gleiche Richtung, und Ibrahim lief zwischen ihnen. Der Junge selbst blieb ein Stück hinter den anderen zurück, er wollte seine Familienmitglieder im Auge behalten. Darum hatte ihn der Vater gebeten. Der Morgentau glitzerte im Licht der Sonne, die sich hinter dem Horizont hervorschob.
    Von Brennholz oder Kräutern keine Spur, die nähere Umgebung des Lagers war längst gründlich abgesucht. Rasch drangen sie tiefer in den Wald ein und entfernten sich allmählich so weit voneinander, dass der Junge schon überlegte, ob er seine Familie wieder zusammenrufen sollte. Sie hatten das Lager bereits mindestens einen Kilometer hinter sich gelassen, und außer ihnen war weit und breit kein Mensch zu sehen. Plötzlich hörte er jemanden reden – in der Sprache der Dinka. Der Junge bog ein paar Zweige zur Seite und erblickte Kämpfer der SPLA! Angsterfüllt duckte er sich. Es waren drei breitschultrige Männer in Tarnanzügen. Jetzt wurde es ernst, zwei arabische Frauen und zwei potentielle Feinde der SPLA, zwei jungeAraber, waren den mit Macheten bewaffneten Kämpfern im menschenleeren Wald völlig ausgeliefert. Dinka-Soldaten der SPLA waren es auch, die Vater getötet hatten.
    Aus der Tasche seiner zerschlissenen Hose holte der Junge seine Waffe hervor, einen langen, dicken Stahlnagel mit großem Kopf. Die Schreie seines Vaters, als die Kämpfer ihn misshandelten, klangen ihm in den Ohren. Seine Angst wurde immer größer. Wenn sie erst eine bestimmte Grenze überschritten hätte, würde sie ihn lähmen, wie damals, als Hyänen über die Ziege Ito hergefallen waren. Und diesmal konnte ihn der Vater nicht aus der Not retten. Durch das Gebüsch hindurch versuchte er etwas zu erkennen. Im selben Augenblick hob einer der SPLA-Kämpfer seine Stimme und zeigte in den Wald.
    Starr vor Angst sah der Junge, wie der muskulöse schwarze Soldat Ibrahim am Arm packte. Der Mann trug eine fünfzig Zentimeter lange Machete, und sein Gesicht erinnerte mit der flachen Stirn an einen Dachs. Kurz darauf rief ein anderer seinen Gefährten aus einiger Entfernung etwas zu und zerrte dann Yamila an den Haaren zu ihnen hin. Was sollte er tun? Er war fünfzehn, schmächtig, vom Hunger geschwächt und mit einem Eisennagel bewaffnet. Wie sollte er es mit drei Kämpfern der SPLA aufnehmen? Plötzlich durchschnitt ein Schrei die Luft, und entsetzt beobachtete er, wie seine Mutter den Soldaten direkt in die Arme lief. Sie versuchte Ibrahim zu helfen. Die würden sie alle umbringen.
    Die Zweige der Sträucher zerkratzten ihm die Unterschenkel, als er zu seiner Familie rannte. Er packte den Mann, der grob an seiner Mutter zerrte, am Gürtel und bekam einen Schlag gegen den Kopf, dass er Sterne sah und ins Gebüsch flog. Dann zog ihn jemand am Bein und schleifte ihn neben Ibrahim; sie lagen ein paar Meter von der Mutter und der Schwester entfernt auf dem Boden. Einer der Kämpfer riss der Mutter die Kleider vom Leibe, und der andere machte mit der Schwester … das, der Junge wusste, was der Mann tat. Der Soldat, der ihn und Ibrahim bewachte, starrte auf die Frauen wie ein Schakal, der darauf wartete, sich auf das Aas stürzen zu können. Der Junge musste die Augen schließen, die verzweifelten Schreie der Mutter und Yamilas bohrten sich in seinen Schädel,lange hielte er das nicht mehr aus. Was würden sie mit ihm und Ibrahim machen? Als er die Augen wieder öffnete, sah er, wie der nächste Mann auf Yamila stieg.
    Plötzlich hörte man irgendwo das Motorengeräusch eines Autos. Gott stand ihnen bei! Auf einem schmalen Sandweg näherte sich ein weißer Geländewagen. Der Junge hatte noch nie etwas Schöneres gesehen als die an das Auto gemalten schwarzen Buchstaben – UN, Vereinte Nationen. Jetzt musste er es wagen. Er sprang auf und rannte schneller als je zuvor. Der Soldat, der ihn und Ibrahim bewachte,

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