Schwarzbuch Bundeswehr - Überfordert, demoralisiert, im Stich gelassen -
vorgesehen ist. »Eine Einweisung in seine Pflichten, Aufgaben, speziell während der Segelvorausbildung in der Takelage, hat nicht stattgefunden, da man der Meinung war, dass er wissen müsste, was er zu tun und zu lassen hat.« Entgegen der vorherigen Äußerungen soll die Kadettin nicht 83 kg, sondern gut 60 kg gewogen haben, das gab jedenfalls der Anwalt an, der die Mutter der Verunglückten vertritt. Sie sei also nicht übergewichtig gewesen.
Und plötzlich wird bekannt, dass die Leiche der Kadettin mit 20 kg Formalin vollgepumpt wurde, um sie für den Transport zur Obduktion in Deutschland zu konservieren, da im Transportflugzeug keine Kühlkammer vorhanden war. Klingt nachvollziehbar, denn dann stimmt es, dass das Opfer nach Aussage von Mutter und Anwalt zuletzt um die 60 kg wog, die im Bericht genannten 83 kg wären dann dem Gewicht des Formalins zuzuschreiben. Allerdings ergeben sich daraus sofort neue Zweifel: Hätten die Tatsache und die Umstände der Konservierung nicht schon der Marine für ihren Untersuchungsbericht im Dezember bekannt sein müssen? Wieso dauert es fast drei Monate, bis ein so wichtiges Detail öffentlich wird? Und sind dann eventuell weder der Bordarzt noch der Unteroffizier mitverantwortlich für das Unglück, da die Kadettin am Unfalltag doch im Vollbesitz ihrer Kräfte war?
Die Untersuchungen zu diesem tödlichen Unfall, der viele Fragen aufwirft, wird voraussichtlich so lange andauern, bis Ende April 2011 die Gorch Fock wieder ihren Heimathafen Kiel erreicht hat.
Der suspendierte Kapitän des Schiffes, Norbert Schatz, wird möglicherweise wieder auf ihm eingesetzt, denn erste Befragungen der Besatzung und ehemaliger Kadetten haben »keine Anzeichen für ein disziplinarrechtliches Fehlverhalten« ergeben.
Zum jetzigen Zeitpunkt ist folgendes festzustellen: Die Vorgesetzten haben ihre Aufsichts- beziehungsweise Fürsorgepflicht vernachlässigt. Speziell der verantwortliche Arzt muss sich diesen Vorwurf gefallen lassen, da er den körperlichen Zustand eines jeden Soldaten vor Antritt eines neuen Lehrganges bescheinigen muss. Dies war augenscheinlich schon allein wegen der Körpergröße der Kadettin nicht der Fall.
Wie beim Tanklasterbombardements in Kundus wachsen auch in Bezug auf das Unglück auf der Gorch Fock von Erklärungsversuch zu Erklärungsversuch, von Eingeständnis zu Eingeständnis die Unklarheiten, und am Schluss legt sich ein Nebel von gegensätzlichen Erklärungen, nicht mehr aufzuklärenden Behauptungen und unterschiedlichsten Schuldzuweisungen über das ganze Thema, das nach so langer Zeit nicht einmal mehr die Bundeswehrangehörigen selbst, geschweige denn eine größere Öffentlichkeit interessiert. War aber vielleicht genau das das Ziel? Sollten diese Fälle von Anfang an nicht schnell und umfassend aufgeklärt werden, gab es Interessen und wenn ja, welche, die den Tod von Menschen am liebsten entweder als »Selbstverschulden« oder maximal als Ergebnis unprofessioneller Handhabung auf unteren Ebenen deklarieren und den Fall ad acta legen wollten? Die Hoffnung bleibt, dass es klugen Journalisten und der Recherche von unbestechlichen Einzelpersonen gelingen wird, hinter die Nebelwände in Kundus und auf der Gorch Fock zu blicken – und die Öffentlichkeit daran teilhaben zu lassen.
Zu weiteren aktuell ungeklärten Todesfällen:
Zwischenfälle wie die folgenden gehen mittlerweile täglich durch die Presse. Todesfälle, die in angeblich friedlicher Umgebung passieren, wie auch der zweier junger Soldaten im Alter von neunzehn und dreiundzwanzig Jahren, der Anfang Februar 2011 für eine kurze Schlagzeile in den Medien sorgte.
Auf dem rheinland-pfälzischen Truppenübungsplatz Baumholder kamen bei einem Unfall mit dem Mungo genannten Militärfahrzeug, das auch schon in Kapitel 3 beschrieben wurde, die beiden Soldaten zu Tode, vier weitere wurden zum Teil schwer verletzt. Auch hier laufen die Ermittlungen in alle Richtungen, und die Frage nach fehlerhaftem Material beziehungsweise Fehlverhalten der Soldaten ist zum jetzigen Zeitpunkt offen.
Ebenso das Verhalten des Soldaten in Afghanistan, das möglicherweise einen Kameraden das Leben kostete. Aktueller Stand: ein Fall von Herumspielen mit Waffen. Also wieder einmal angeblich Selbstverschulden, das jedoch innerhalb der Truppe offensichtlich nicht für genügend Abschreckung sorgte, denn Ende Januar 2011 kam es in derselben Einheit zu einem weiteren Zwischenfall, bei dem während einer Patrouille in
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