Schwarzbuch Bundeswehr - Überfordert, demoralisiert, im Stich gelassen -
es noch nicht einmal unter Friedensbedingungen schafft, ein Fahrzeug richtig zu führen, und der diese Schwäche bei einem Test aktenkundig gemacht hatte, im Stress und unter Lebensgefahr bei einem Kriegseinsatz besser dazu imstande sein? Und was ist mit der Verantwortung für jene, die dort gezwungenermaßen seine Mitfahrer sind? Um nicht missverstanden zu werden: Der Vorwurf geht nie und nimmer an den Fahrzeuglenker, er geht einzig und allein an den Vorgesetzten, der ihn ohne jegliches Verantwortungsbewusstsein auf diesem Posten eingesetzt hat.
Eine ganz spezielle Reaktion auf die sich permanent verschlechternde Einsatzausbildung muss hier noch angesprochen werden. Die Bundeswehr »erfand« durch einen kleinen Trick eine neue Form des Prüfungsabschlusses. Ein Trick mit fatalen Folgen.
Beispielsweise musste man bei den Fallschirmjägern bis vor einigen Jahren und im Besonderen bei den Spezialzügen der »Division spezielle Operationen« Einzelkämpferlehrgänge absolvieren, um überhaupt für Folgelehrgänge zugelassen zu werden. Jeder einzelne dieser Lehrgänge wurde am Ende theoretisch und praktisch abgeprüft, und nur bei Bestehen durfte man den Ausbildungslehrgang insgesamt fortsetzen; wurde auch nur ein Teilbereich nicht bestanden, erfolgte sofort die Ablösung vom Ausbildungsziel. Im Durchschnitt erreichten nur 15 Prozent dieses Ausbildungsziel, oder umgekehrt: Die Durchfallquote lag bei 85 Prozent. Da diese Quote so hoch war, fehlte der Bundeswehr für bestimmte Positionen sehr viel Personal. Und so entwickelte man einen Trick, der nur als ebenso einfach wie genial bezeichnet werden kann: Man schrieb die Lehrgangsziele um. Nicht mehr das Bestehen, sondern nur noch die Teilnahme an den einzelnen Ausbildungsabschnitten war gefordert. Vor dieser Änderung folgte die Ablösung vom gesamten Ausbildungsziel, wenn man auch nur in einem Abschnitt durchgefallen war; nachher führte – gerade in den praktischen Ausbildungsabschnitten – ein Durchfallen nur dazu, dass man die schlechte Note hier mit einer guten aus einem anderen Ausbildungsabschnitt ausgleichen konnte. Hatte man beispielsweise bei einer Orientierungsübung (Umgang mit Karte und Kompass) gut abgeschnitten, setzte aber am Zielort durch eigene Fehlentscheidung seine Untergebenen einer lebensgefährlichen Situation aus, was weiterhin Nichtbestehen der Übung »Führer im Gefecht« zur Folge hatte, so durfte man als »Ausgleicher« trotzdem weiter am Trainingsprogramm teilnehmen. Der erste positive Nebeneffekt: Es gab kaum noch »Durchfaller«. Der zweite positive Nebeneffekt: Es gab wieder ausreichend Köpfe für die Planzahlen des Führungspersonals. Nur hatte man beim alten Zustand zehn auf allen Gebieten gut ausgebildete Vorgesetzte, beim neuen Zustand ebenfalls zehn plus eine große Anzahl anderer, denen man besser keine Menschen in einem Krieg anvertrauen sollte.
Der ehemalige Wehrbeauftragte Reinhold Robbe schrieb dazu 2009 in seinem Bericht: »Die Personalsituation und darüber hinaus auch die Rahmenbedingungen in den Ausbildungseinheiten insgesamt bedürfen dringend einer kritischen Überprüfung.«
Das Ergebnis einer solchen verfehlten Personalpolitik und von zum Himmel schreienden Ausbildungsversäumnissen trifft am schlimmsten die Soldaten, die vor Ort ihr Leben aufs Spiel setzen – und es bisweilen auch verlieren.
Die Toten
Seit 1955 starben über 3000 Bundeswehrangehörige im Dienst. Meist war die Todesursache ein Unfall, meist aufgrund schlechter Ausrüstung, schlechter Ausbildung und ungenügender Vorschriften. Keine Erwähnung finden jene mehr als 3400 Soldaten, die sich im Dienst das Leben nahmen. Hier sind die Gründe sicher vielfältiger Natur, doch einige Selbstmorde gehen unbestreitbar auf das Konto der unerträglichen Zustände bei der Bundeswehr. Auch jene Toten tauchen nicht in der Statistik auf, die Angehörige von Spezialkräften waren, also sogenannten Geheimtruppen angehörten, beziehungsweise geheime Operationen durchführten, und die nur wenigen Personen in den Geheimdiensten, bei der Bundeswehr oder unter den Abgeordneten bekannt sind.
Die Dunkelziffern gefallener Soldaten dürften also um ein Vielfaches höher sein als jene, an die in diesem Buch detaillierter erinnert werden soll und deren Tod eine besondere Mahnung und Aufforderung sein muss, dass sich die Dinge ändern, für die sie mit dem Leben bezahlten. Seit sich die Bundeswehr in Auslandseinsätzen befindet, sind 95 Soldaten (Stand: 3. März 2011) ums
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