Schwarzbuch Bundeswehr - Überfordert, demoralisiert, im Stich gelassen -
als Auffangbecken für die »Übriggebliebenen« herhalten müssen.
In der Ausbildungsphase der neuen Rekruten kommt der Bundeswehr die Tatsache zugute, dass in vielen Ländern dieser Erde bereits seit Langem das Modell »Berufsheer« existiert. Was spricht dagegen, von ihnen beim Aufbau der deutschen Berufsarmee zu lernen? Beispielsweise, dass die militärischen Führer bei Bewährung im Dienst aus den eigenen Reihen vorgeschlagen werden. Wie in jeder guten Firma sollte der Personenkreis, der in Führungspositionen arbeiten soll, nach sorgsamer Prüfung bevorzugt aus den bereits im Unternehmen tätigen Personen rekrutiert werden. Auch dort würden Motivation und Engagement für die Firma enorm darunter leiden, wenn eine Person von außen, lediglich aufgrund der Momentaufnahme eines bestandenen Tests, einem Firmenangehörigen gegenüber bevorzugt würde, der sich für denselben Posten bewarb, weil er jahrelang hervorragende Ergebnisse ablieferte, alle Abläufe der Firma bestens kannte und in Theorie und Praxis mit den Erfordernissen der Aufgabe vertraut war. Welche der beiden Möglichkeiten mehr Erfolgsaussichten erwarten lässt, ist in der Privatwirtschaft wohl unbestritten, in der Bundeswehr kommt hinzu, dass es dort bei gravierenden Fehlentscheidungen nicht nur um Material oder Gelder, sondern um das Leben von Menschen geht.
Solche erfahrenen Soldaten würden wahrscheinlich nie mit einem dermaßen schlechten »Bauchgefühl« an einen Auftrag herangehen wie der Hauptfeldwebel, der darüber berichtete und dem in Afghanistan ein Einsatz bevorstand, der sein Leben und das seiner Untergebenen Todesgefahr aussetzen würde. Er schrieb, aufgrund fehlenden Personals sei er den dortigen Kräften als Patrouillenführer zugeteilt worden und müsse aufgrund seines Dienstgrades nun mit den ihm völlig unbekannten Kameraden als Vorgesetzter einer Einheit die zweifellos bevorstehenden Gefechte bestehen. Da er in Deutschland Fahrlehrer sei und bisher keine Gefechtserfahrung habe, könne man ihn in Afghanistan vielleicht als Fahrer einsetzen, aber doch nicht als Kämpfer und schon gar nicht als Anführer seiner ihm unterstellten Soldaten. Einzig sein Dienstgrad und seine Verfügbarkeit für den Einsatz auf diesem Dienstposten seien als Grundlage und Begründung für die getroffene Entscheidung herangezogen worden.
Dies mag als Beispiel für die falsche Auswahl von Führungspersonal eine Ausnahme sein, gängige Praxis ist aber die aktuell völlig ungenügende Einsatzvorbereitung. Folgendes Zitat aus den Empfehlungen der schon häufiger genannten van-Heyst-Kommission fasst die Problematik sehr gut zusammen: »Ausbildungsabschnitte für die Einsatzvorbereitung müssen verbessert werden … Weiterhin wird empfohlen, für alle Kontingente, zumindest jedoch Teilkontingente, gemeinsame Abschlussübungen oder Führerseminare obligatorisch einzuführen. Darüber hinaus sollte Engpassmaterial … selbst den Truppenteilen in der Einsatzvorbereitung zugewiesen werden.«
Das heißt nichts anderes, als dass man vor einem Einsatz gemeinsam mit den Personen, mit denen zusammen man kämpfen wird, üben sollte. Und dass man während dieser Übungen auch schon mit dem Material arbeiten sollte, das einem beim Einsatz zur Verfügung steht. Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass diese Selbstverständlichkeiten in der Bundeswehr von heute nicht oder nur mangelhaft praktiziert werden.
Doch die Misere geht im aktuellen Zustand noch viel weiter: Selbst die für das Handwerk eines Soldaten so zentralen Dinge wie Schießen mit Handwaffen, Schießen zusammen mit anderen Truppengattungen, Fahrtraining auf unterschiedlichen Fahrzeugen werden in der aktuellen Einsatzvorbereitung vernachlässigt oder gar nicht mehr praktiziert.
Beispielsweise zeigten im zweiten Halbjahr 2009 viele Unfälle mit Gefechtsfahrzeugen, dass es mit der Fahrausbildung in der Truppe nicht zum Besten stand. Diese Vorfälle waren Gegenstand einer Untersuchung, die zu dem Schluss kam, sie seien vorwiegend auf drei Ursachen zurückzuführen: erstens mangelnde Fahrpraxis, zweitens Unerfahrenheit des Fahrers mit dem Gelände und drittens unangemessene Führung des Fahrzeugs. Das Problem war nur, dass selbst Fahrzeuglenker, denen schon in Deutschland bei Übungsfahrten alle drei Fehler zusammen attestiert werden mussten, trotzdem im Einsatzgebiet Afghanistan wieder mit dem Job des Fahrers betraut wurden. Schlicht und einfach, weil es dort zu wenige Fahrer gab. Wie soll aber jemand, der
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