Schwarzbuch Bundeswehr - Überfordert, demoralisiert, im Stich gelassen -
Nordafghanistan zwei Soldaten in einen Streit gerieten. Daraufhin zog der dienstgradhöhere Soldat eine Waffe und hielt sie dem dienstgradniedrigeren Soldaten an den Kopf. Der bedrohte Soldat soll die Waffe »weggeschlagen« haben und konnte sich so in Sicherheit bringen. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums kommentierte: »Es handelte sich um einen unsachgemäßen Umgang mit der Waffe, der geahndet werden muss.« Zumindest im letzten Fall ist damit zu rechnen, dass der Soldat, der seinen Kameraden bedroht hat, unehrenhaft entlassen wird – und es wäre wünschenswert unter »Wegfall der Geld- und Sachbezüge«.
Und zum Abschluss das Problem mit der geöffneten Feldpost:
Bei Meldungen über tote Soldaten wäre fast die Meldung über geöffnete Feldpost aus Afghanistan in Vergessenheit geraten. Der Leser mag sich erinnern! In Kapitel 1 wurde auf der Basis eines früheren Erkenntnisstandes berichtet. Wir erinnern an die kläglichen Versuche des Verteidigungsministeriums, diese gravierenden Verletzungen des Briefgeheimnisses entweder einem afghanischen Transporteur der Briefe unterzuschieben oder sie gar den Frankiermaschinen anzulasten. Doch erneute Vorfälle geöffneter Feldpost in Afghanistan im Februar 2011 lassen auch dieses Thema in der Öffentlichkeit nicht zur Ruhe kommen, denn nun haben sich Briefschreiber beschwert, deren Post von Deutschland aus in Afghanistan beschädigt oder geöffnet ankam. Das wirft natürlich die offizielle Argumentation ziemlich aus der Bahn. Mitte Februar 2011 teilte die mit den Vorfällen befasste Staatsanwaltschaft Darmstadt mit, »dass der Tatort in den Major-Plagge-Kaserne in Pfungstadt zu suchen ist«. Auch bei diesem Fall bleibt zu hoffen, dass an der Wahrheit interessierte Personen in und außerhalb der Bundeswehr nicht lockerlassen werden, Aufklärung einzufordern und auch Aufklärung selbst zu betreiben. Denn aus all diesen Skandalen ist zu lernen, dass ohne Eigeninitiative und im Vertrauen auf offizielle Stellen nichts passiert, nur neue Nebelkerzen entzündet werden oder bisweilen, siehe Kundus, sogar von dieser Seite alles getan wird, damit Aufklärung unterbleibt.
Täuschen, tricksen, schönfärben – dieses Verhalten durchzieht die Bundeswehr seit Jahren, man kann es inzwischen als charakteristisch für ihren Zustand beschreiben. Und es geht stets auf Kosten der Soldaten, bei denen die Schuld zuerst gesucht wird.
Spätestens an diesem Punkt muss jedem einzelnen Soldaten klar sein, dass ihm in einer solchen Lage weder Selbstanklage noch elitäre Selbstüberschätzung – und auch kein selbstgenügsamer Rückzug ins eigene kleine Glück irgendeine Hilfe bieten werden.
Besserung ist nur dann in Sicht, wenn Soldaten Stellung beziehen, wenn sie die Dinge in die Hand nehmen, wenn sie unbequem werden.
Eine Meuterei hat schon manche Schiffsbesatzung und sogar das Schiff vor dem sicheren Untergang bewahrt. Auch das muss die Bundeswehr noch lernen.
8. Die Bundeswehr und ihre Perspektiven
Wo wird das alles noch hinführen?
Augenscheinlich ist die Bundeswehr nicht einsatztauglich.
Sie ist unterfinanziert, sie ist schlecht ausgebildet, schlecht ausgerüstet und mit ihren Einsätzen überfordert. Sie hat in Pleiteprojekte investiert, nur knapp 7000 einsatzfähige Soldaten, und in den Hinterzimmern der Macht halten weiterhin uneinsichtige militärische und politische Verantwortliche an fragwürdigen Verträgen mit der Rüstungsindustrie fest.
Umstrukturierung, Verkleinerung, mangelnde Ausrüstung, fehlende Qualifikation beim Personal, fehlender Rückhalt in der Gesellschaft, Vertuschung, Unterschlagung von Informationen, Skandale – allesamt Schlagwörter, die zum Thema Bundeswehr immer wieder genannt werden.
Es muss sich also etwas ändern, und zwar möglichst schnell und möglichst umfassend, um die Bundeswehr einsatztauglich zu machen.
Die erste Überlegung in diese Richtung war, zu einer Armee von Berufs- und Zeitsoldaten überzugehen, mit einem sehr geringen Anteil an freiwillig länger dienenden Wehrpflichtigen, um die Bundeswehr kleiner, flexibler und kostengünstiger zu machen.
8.1 Auf dem Weg zur einsatztauglichen Berufsarmee
Die Ausbildung zum Soldaten ist bei einem immer kürzeren Grundwehrdienst innerhalb von sechs Monaten nicht länger möglich. Auch deswegen stellte sich die Frage, ob es Sinn machen würde, die Wehrpflicht komplett abzuschaffen und wie viele andere Länder eine Berufsarmee einzuführen.
Die Vorteile einer Berufsarmee
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