Schwarzbuch Kirche - Und führe uns nicht in Versuchung
durchzusetzen und die Opfer ihrer Perversion zum Schweigen zu bringen. Niemand hatte den Schülern je gesagt, welches Verhalten sie von ihren Priestern und Lehrern erwarten dürften, und es gab keine vertrauenswürdige Person oder Stelle, bei der sich die Opfer hätten beschweren können. So konnten die Täter praktisch ohne das Risiko einer Entdeckung oder gar einer Strafe machen, was sie wollten.
Auch ganz schlichte praktische Regeln des täglichen Umganges zwischen Lehrern und Schülern wurden in der Klosterschule von Santa Barbara missachtet. Eigentlich hätte der Zutritt zu den Privaträumen der Franziskaner für die Schüler tabu sein müssen. Aber die Täter holten sich die Schüler auch in ihre Zellen, Alkohol und Drogen wurden dort verabreicht, um die jungen Opfer gefügig zu machen. Manchmal übernachteten dort auch hausfremde Kinder. Es scheint, als wollte das niemand sehen. Es fiel offensichtlich niemandem ein, es für merkwürdig zu halten, wenn medizinisch völlig unkundige Ordensmänner anfingen, »medizinische« Untersuchungen am Körper und auch an den Genitalien der Schüler vorzunehmen. Auch an den von Lehrern »freundlich« verabreichten Ganzkörpermassagen nackter Schüler störte sich niemand. Die übliche Prügelstrafe könnte bei den Schülern das Gefühl gesteigert haben, den Ordensleuten ohnedies ausgeliefert zu sein und keine Rechte im Hinblick auf ihre körperliche Unversehrtheit zu haben. Dass in einer solchen Atmosphäre bald ältere Schüler, die zum Opfer ihrer Lehrer geworden waren, sich selbst jüngere Knaben suchten, um diese wiederum zu missbrauchen, nimmt nicht wunder. Die ganz jungen Zöglinge der Klosterschule waren das schwächste Glied, sie mussten nicht nur die Franziskanerpriester fürchten, auch die älteren Mitschüler waren eine ständige Bedrohung für sie.
Dreiundzwanzig Jahre lang hielt dieses Schreckenssystem. Die Internatsschule wurde 1987 geschlossen, aber nicht wegen der Missbräuche, sondern schlicht aus Geldmangel. Erst zwei Jahre später, 1989, hatte ein Opfer den Mut, seine Peiniger anzuzeigen. So lange hatte das Kartell des Schweigens gehalten. 34 Opfer sind bekannt geworden, sie hatten den Mut aufgebracht, sich zu outen. Damit gaben sie auch der Kirche in den USA eine zweite Chance, das Problem des sexuellen Missbrauchs von Kindern ernsthaft zu behandeln. Der Kommissionsbericht, den der Provinzial der Franziskaner im November des Jahres 1993 erhielt, erschöpfte sich nicht in der Beschreibung der Missstände und Verbrechen. Er enthielt fundierte Vorschläge, wie man zukünftig in kirchlichen Einrichtungen den sexuellen Missbrauch wenn nicht völlig verhindern, so zumindest erheblich erschweren und einschränken könnte. Es ist nicht bekannt, was Pater Joseph Chinnici mit dem Bericht gemacht hat oder wann er ihn wem zu lesen gab. Der Bericht wurde nicht geheimgehalten, die Kirchenpresse, der National Catholic Reporter berichtete schon im Dezember 1993 über wesentliche Inhalte der zugrunde liegenden Untersuchung. Dennoch schien in der Kirche der USA und auch weltweit erneut nichts zu geschehen, was dem dringenden Problem des sexuellen Missbrauchs von Kindern in kirchlichen Einrichtungen Einhalt gebieten könnte.
Der große Sturm brach über die Kirche der Vereinigten Staaten erst herein, als Reporter der Tageszeitung The Boston Globe 2001 begannen, über Strafprozesse gegen fünf Priester der Erzdiözese Boston zu berichten. Diese Priester hatten sich an insgesamt mehreren hundert Kindern vergangen, sie wurden alle zu Haftstrafen verurteilt. Besonders pikant war, dass einer von ihnen, Paul Shanley, als Aktivist von NAMBLA aufgetreten war, einer Organisation, die sexuelle Kontakte zwischen Männern und männlichen Jugendlichen förderte. Der zuständige Erzbischof musste zugeben, dass er die Priester bei Beschwerden einfach in eine andere Gemeinde versetzt hatte. Shanley zum Beispiel »verschwand« 1990 nach Kalifornien und wurde Pfarrer in einer dortigen Gemeinde. Gleichzeitig betrieb er zusammen mit einem anderen katholischen Priester eine Bed-&-Breakfast-Pension für Homosexuelle. Kardinal Law hatte dem zuständigen Bischof die speziellen Vorlieben seines Problem-Priesters verschwiegen. Dem Kardinal ist also – ähnlich wie vielen seiner Kollegen – vorzuwerfen, das Risiko, dass Paul Shanley erneut Opfer finden würde, die ihm als katholischem Priester besonderes Vertrauen schenkten, sehenden Auges in Kauf genommen zu haben, um – jedenfalls
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