Schwarzbuch Kirche - Und führe uns nicht in Versuchung
US-amerikanischen Bistümer ein Dauerthema. Konnte der Kardinal wirklich annehmen, dass die Verhältnisse außerhalb der Vereinigten Staaten grundsätzlich anders seien?
Vertuschen, verschweigen, verdrängen
Für die Situation, die in den katholischen Bistümern der USA herrschte, ist der Fall von Kaplan Gauthe exemplarisch. In Lafayette, Hauptstadt des Staates Louisiana und Sitz eines kleinen katholischen Bistums mit gut 300 000 Gläubigen, wurde 1972 der 28 -jährige Gilbert Gauthe zum Priester geweiht. Der junge Kaplan fiel schon in seiner ersten Stelle unangenehm auf, weil er Ministranten sexuell belästigte. Zudem fanden es mehrere Ordensfrauen, die in der Pfarrei vom Heiligsten Herzen Jesu in der Kleinstadt Broussard tätig waren, seltsam, dass der Geistliche öfter kleine Jungen über Nacht mit in seine Wohnung nahm. Diese Geschichte wurde nicht weiter verfolgt, denn Kaplan Gauthe wurde versetzt nach New Iberia, eine etwas größere Kleinstadt mit eher armer Bevölkerung – ein relativ hoher Teil lebt unter der Armutsgrenze –, um dort in der Pfarrei Unsere Liebe Frau von der ewigen Hilfe zu arbeiten. 1974 wurde er dort mit einem jungen Mann in flagranti erwischt, woraufhin er von seinem Bischof ermahnt wurde. Gleichwohl ernannte dieser Gauthe 1975 zum Seelsorger der – ausgerechnet – Pfadfindergruppe des Bistums. Sechs Jungen, so wurde später bekannt, fielen dem sexuellen Missbrauch durch Gauthe zum Opfer.
In der nächsten Pfarrei, in der Gauthe von 1976 bis 1977 wirkte, St. Mary Magdalen in Abbeville, beschwerten sich Eltern beim Pfarrer über den Vikar, weil er ihre Jungen über das Gesicht geleckt hatte. Der Pfarrer gab die Information an den Generalvikar der Diözese weiter, der zwar eine psychiatrische Behandlung von Gauthe veranlasste, ihn aber nicht als Priester suspendierte. Gauthe wurde erneut versetzt und erhielt die Stelle als Pfarrer von St. John in Erath, einem Nest nahe der Küste des Golfs von Mexiko. Offenbar hoffte der Generalvikar, Gauthe könne in der winzigen Gemeinde mit nur 1000 Katholiken kein Unheil stiften. Aber der neue Pfarrer holte sich aus seinem alten Wohnort eine Gruppe von Jungen, die aus schwierigen sozialen Verhältnissen stammten, und ließ sie in seinem Pfarrhaus wohnen. Diesbezügliche Beschwerden von Gemeindemitgliedern beim Bischof verhallten ohne Resonanz.
Auch die Kinder aus der eigenen Pfarrei verschonte Gauthe nicht. 37 Opfer waren es in den sechs Jahren bis 1983 , die teilweise vergewaltigt und anal penetriert wurden. Erst jetzt zeigte ein Vater den Pfarrer an, weil dieser seine Söhne sexuell belästigt hatte. Jetzt setzte der zuständige Bischof den Pfarrer ab und verbannte ihn in ein kirchliches Heim. Es kam zu einer Reihe von Zivil- und Strafprozessen, Gilbert Gauthe wurde 1985 zu 20 Jahren Haft verurteilt. Das war das erste Mal, dass ein Priester in den Vereinigten Staaten wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger angeklagt und verurteilt wurde. Ebenfalls zum ersten Mal wurde ein Bistum deshalb zu einer erheblichen Schadensersatzzahlung verurteilt, 10 Millionen Dollar musste die Diözese an die Opfer bezahlen.
Im Rahmen der Ermittlungen in diesem Fall waren der Kirche die Fälle weiterer Priester bekannt geworden, die wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern straffällig geworden waren. Der Dominikanerpater Thomas Doyle, in der Nuntiatur in Washington, der diplomatischen Vertretung des Papstes in den USA , tätig, hatte dienstlich von dem Fall erfahren und bildete mit dem Strafverteidiger von Pfarrer Gauthe und einem psychiatrisch geschulten Priester eine kleine Kommission, um die Ausbreitung von sexuellem Missbrauch von Kindern durch Priester, ihre Folgen und mögliche Gegenmaßnahmen zu untersuchen.
Im Jahr 1985 ging ein fast hundertseitiger Bericht an die Bischöfe in den USA . In der Bischofskonferenz wurde das Dokument kurz diskutiert, dann passierte nichts weiter. Offenbar hatten die zentralen Aussagen von Pater Doyle die Bischöfe so erschreckt, dass man es vermied, sich näher mit dem Thema zu befassen. Denn Doyle war zu dem Ergebnis gekommen, es müsse von einer geschätzten Größenordnung von 1000 pädophilen Priestern in den USA ausgegangen werden. Das finanzielle Risiko für die Heimatdiözesen dieser Priester schätzte der Dominikanerpater auf etwa eine Milliarde Dollar. Wir wissen heute, dass die bisher gezahlten Entschädigungsleistungen die Grenze von einer Milliarde Dollar längst weit überschritten haben. Freilich
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