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Schwarzbuch Kirche - Und führe uns nicht in Versuchung

Titel: Schwarzbuch Kirche - Und führe uns nicht in Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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in denen keiner etwas hörte, keiner etwas sah und keiner darüber sprach.
    Zur Zeit der Untersuchung waren die Opfer zum Teil noch junge Männer im Studium, zum anderen Teil schon älter, viele waren verheiratet und hatten selbst Kinder. Die Auswirkungen des Missbrauchs auf ihr späteres Leben schätzten die Opfer unterschiedlich ein. Auffallend war jedoch, so der Bericht, dass die überwiegende Mehrzahl der Opfer der katholischen Kirche stark ablehnend gegenüberstand. Viele ehemalige Schüler berichteten, nicht gewusst zu haben, an wen sie sich hätten wenden sollen. Sie hatten das Gefühl, niemand würde ihnen glauben, erzählten sie jemandem von diesen, immerhin von einem Priester begangenen Taten. Andere Ex-Schüler berichteten über Probleme mit ihrer sexuellen Orientierung, sie glaubten, sie müssten homosexuell geworden sein.
    Auch das Gefühl der Schwäche, des Sich-nicht-wehren-Könnens, nagte an vielen Opfern: »Wäre ich ein richtiger Mann gewesen, hätte ich mich wehren können«, drückte es ein früherer Schüler aus. Dies führte bei manchen zu übertrieben »männlichem« Verhalten, zu Gewalttätigkeiten, Ärger mit Behörden und Rebellion. In ihren Beziehungen zu Frauen empfanden viele Opfer die Schwierigkeit, Vertrauen aufzubauen, weil sie den erlebten Missbrauch unbewusst auf die Partnerin übertrugen. Und natürlich wurde auch die Sicht der Priesterrolle und der Kirche in der Regel irreparabel beschädigt. Mit Verwirrung und Furcht reagierten Opfer auch auf die Vorstellung, sie selbst könnten daran schuld sein, dass geweihte Priester so ihre Heiligkeit aufs Spiel setzten. Gerade für junge, gläubige Katholiken ist dieser Umstand oft der schwerste von allen: Der vom Kinderschänder hervorgerufene Vertrauensbruch betrifft nicht nur das Vertrauen zu einer konkreten Person, sondern zur Kirche insgesamt und damit auch zu Gott, der so etwas zulässt. Diese Spätfolgen zeigten sich bei den Opfern in unterschiedlichem Ausmaß, in Abhängigkeit von ihrer Persönlichkeit.
    Dagegen war die Schwere der Spätfolgen nicht abhängig von der äußerlichen Schwere des Delikts selbst. Ob es sich »nur« um eine Berührung oder »nur« um ein Nacktfoto handelte oder ob ein erpresster Analverkehr das Delikt darstellte – der erlittene sexuelle Missbrauch konnte gleich schwere Wirkungen hervorbringen. Die Traumatisierung reichte bei etlichen Opfern so weit, dass sie Selbstmordgedanken hegten. In einem Fall hatte der betroffene Mann den Plan, sich umzubringen, schon fest gefasst, als der Brief der Untersuchungskommission ihn erreichte. Durch die damit begonnene Aufarbeitung seiner Geschichte schaffte er es, weiterleben zu wollen. Andere betroffene Schüler begannen Alkoholismus- und Drogenkarrieren wegen ihres negativen Selbstwertgefühls als Folge des erlittenen sexuellen Missbrauchs. Die Kommission stieß auch auf ein Phänomen, das sie als »Schwarze-Loch-Theorie« bezeichnete. Denn die früheren Opfer, die noch jünger als dreißig waren, schienen verhältnismäßig psychisch stabil und hatten offenbar den Missbrauch weitgehend verdrängt. Ältere Opfer fielen offenbar erst dann in ein »Schwarzes Loch«, als zufällige Ereignisse in ihrem Leben die Verdrängung durchbrachen und die erlittene Traumatisierung wieder zutage trat. Sofern die Eltern der traumatisierten Schüler in die Umstände des sexuellen Missbrauchs eingeweiht wurden, entwickelten sich bei ihnen ebenfalls lange Leidensgeschichten. Viele Eltern quälten Schuldgefühle, weil sie ihr Kind in die Internatsschule gesteckt oder weil sie ihr Flehen, die Schule wieder verlassen zu dürfen, schlicht ignorierten hatten. Auch das Vertrauen der Eltern in die Franziskanerpatres, die Schule und die Kirche war – meist unumkehrbar – zerstört.
    Etliche kritische Punkte benannte der Kommissionsbericht, Probleme, die den sexuellen Missbrauch über eine so lange Zeit begünstigten. Eine Atmosphäre der Nicht-Kommunikation habe in der Klosterschule geherrscht, die das Verleugnen und das Wegsehen begünstigte. Dazu kam noch eine völlige Unkenntnis der Leitungsebene über die Ursachen und Erscheinungsformen von sexuellem Missbrauch an Minderjährigen. Wesentliche Normen und Regeln des Kirchenrechts über das Verhalten von Priestern waren ignoriert worden, Priester hatten die Wertschätzung ihrer Rolle ausgenutzt, um ihre Opfer zu isolieren, sie einzuschüchtern, zu verwirren und zu manipulieren, um ihre eigenen Machtansprüche und sexuellen Gelüste

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