Schwarzbuch Kirche - Und führe uns nicht in Versuchung
Kindern durch Priester in aller Munde war. Der Stein kam erst 1995 ins Rollen, als ein junger Mann, der von Pfarrer Sean Fortune aus der Diözese Ferns seit seinem vierzehnten Lebensjahr über etliche Jahre hinweg quasi als dessen persönlicher Sex-Sklave gehalten wurde, sich nach langen inneren Qualen traute, in Dublin zur Polizei zu gehen und Anzeige zu erstatten. Daraufhin wurde erstmals in Irland gegen einen katholischen Priester wegen des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger Anklage erhoben. 66 Fälle hatte die Staatsanwaltschaft ermittelt. Zu einem Strafurteil kam es nicht, Pfarrer Fortune nahm sich in der Untersuchungshaftzelle das Leben. Auch zwei seiner Opfer hatten Suizid begangen.
Der Fall Fortune führte in Irland zu einer staatlichen Untersuchung, weil sich herausgestellt hatte, dass mehrfach Polizeibeamte Anzeigen gegen den Priester nicht verfolgt hatten. 2005 wurde schließlich der »Ferns-Report« veröffentlicht. Dieser beschrieb, wie die Kirche und die Polizei auf 100 Anzeigen durch Opfer oder deren Eltern wegen sexuellen Missbrauchs durch Geistliche reagiert hatte. Die Vorwürfe richteten sich gegen 21 Priester, die zwischen 1966 und 2005 immer wieder Kinder missbraucht hatten. Ihre Opfer hatten sie unter den Schülern der bischöflichen Schule St. Peter’s College oder unter den Ministranten ihrer Pfarreien gefunden. Der Pfarrer von Monageer, einem kleinen Nest bei Enniscorthy, James Grennan, hatte den Missbrauch von Schülerinnen während der Beichte regelrecht inszeniert: Die Mädchen saßen im Kreis im Altarraum der Kirche, wo der Geistliche auf einem Thronsessel Platz genommen hatte. Zu seinen Füßen mussten die Mädchen abwechselnd auf einem roten Samtkissen niederknien und die Beichte ablegen. Die anderen Schülerinnen sollten inzwischen mit geschlossenen Augen beten. Das beichtende Mädchen musste dem Priester die Hand geben, die er dann in seinen geöffneten Hosenschlitz führte. Auch diese schamlose Ausnutzung der Stellung als Priester zur sexuellen Ausbeutung von Schülerinnen führte im Bistum Ferns zu keiner Reaktion: Grennan blieb bis zu seinem Tod im Jahr 1994 als Pfarrer in Monageer tätig. Bischof Comiskey hatte dem Täter geglaubt, nicht den Opfern. Die Schülerinnen, die gegen den Pfarrer ausgesagt hatten, waren damit in der Öffentlichkeit als unglaubwürdig abgestempelt worden, eines der von Pfarrer Grennan missbrauchten Mädchen nahm sich später das Leben. Bischof Comiskey trat im April 2002 von seinem Amt zurück.
In Irland war es bisher üblich, dass der gesamte Bereich der Fürsorgeerziehung für Waisen, Kindern mit Erziehungsproblemen und straffällig gewordene Jugendliche in der Hand der Kirche lag. Diese Einrichtungen wurden in der Regel von Ordensgemeinschaften geführt und von der Kirche selbst kontrolliert. Die Aufsicht durch das staatliche Erziehungsministerium blieb Theorie. Wie fast zu erwarten war, bestätigte ein Bericht, der im Jahr 2009 erschien und als »Ryan-Bericht« bekannt wurde, die schlimmsten Befürchtungen. Die »Industrial Schools«, die Spezialschulen für Jugendliche mit Problemen, waren Horte des Grauens. Es herrschte ein sadistisches Klima des Strafens und der Unterdrückung. Sexueller Missbrauch der Schützlinge blieb nicht aus. Erschreckend war vor allem die Höhe der Zahl der ermittelten Täter, wenngleich der Untersuchung ein langer Zeitraum von 1914 bis 2000 zugrunde lag. Allein zwischen 1965 und 2000 waren etwa 800 Personen als Täter in katholischen Einrichtungen bekannt geworden. Die Zahl der Opfer geht demzufolge in die tausende. Die Reaktion der Kirche war zwiespältig. Der Erzbischof von Armagh, oberster Vertreter der Kirche in Irland, Kardinal Sean Brady, entschuldigte sich öffentlich bei den Opfern. Dagegen hatte ein Orden, aus dessen Reihen viele Täter kamen, die Aufklärung behindert und erreicht, dass die Namen von Ordensbrüdern im Ryan-Report nicht genannt werden durften. Die strafrechtliche Verfolgung von Ordensleuten scheiterte also daran, dass der Polizei diese Namen nicht bekannt wurden. Der Orden kaufte sich von der Strafverfolgung seiner Mitglieder mit der Verpflichtung frei, den Opfern einen Betrag von 161 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen.
Das Jahr 2009 brachte für die irische Kirche noch einen weiteren schweren Schlag. Nachdem die irische Presse im Jahr 2002 ausführlich darüber berichtet hatte, dass in der Erzdiözese Dublin, dem größten irischen Bistum – etwa ein Viertel aller Katholiken
Weitere Kostenlose Bücher