Schwarzbuch Kirche - Und führe uns nicht in Versuchung
Kirchenspaltung auszugehen sei, da seine Autorität als Ortsbischof von den Franziskanern nicht anerkannt werde. Der Vatikan ernannte 2006 und 2008 Untersuchungskommissionen, die das Urteil des Ortsbischofs hinsichtlich der fehlenden Übernatürlichkeit der Erscheinungen bestätigten. Die Glaubenskongregation bekräftigte diese Ansicht im November 2009 nochmals ausdrücklich und verbot kirchliche Wallfahrten nach Medjugorje.
Alles dies hält die Franziskaner aber nicht von ihren Aktivitäten ab. Inzwischen fahren jedes Jahr hunderttausende von Gläubigen, nicht nur Katholiken, auch Orthodoxe, in die Herzegowina, um am Erscheinungsort der »Friedenskönigin« zu beten. Es entstehen neue geistliche Gemeinschaften, selbst in Deutschland, wo der Kölner Kardinal Meisner der Vereinigung Totus tuus, die überwiegend aus jungen Leuten besteht, die kirchliche Anerkennung erteilt hat. Von der sonst so gefürchteten Autorität Roms ist hier nichts zu spüren. Was also wird Rom tun? Eben das, was der Vatikan in vergleichbarer Lage immer gemacht hat: Eine Bewegung, die man nicht verbieten oder sonst verhindern kann, wird eben integriert. Kardinal Schönborn, der Erzbischof von Wien, der das Vertrauen des Papstes genießen soll, reiste zu Silvester 2009 , »rein privat« versteht sich, nach Medjugorje und feierte dort die Heilige Messe zum Jahreswechsel. Es nutzte nichts, dass Bischof Peri´c einen wütenden Protestbrief an den Papst schrieb. Der Kardinal entschuldigte sich beflissen, aber es wurde eine neue römische Kommission gebildet zur Untersuchung der Seelsorge in Medjugorje. Und so hat das kleine Nest in der Herzegowina noch alle Chancen, in die Reihe der anerkannten großen Marienwallfahrtsorte aufgenommen zu werden.
Zu einem ähnlichen Konflikt, wenngleich nicht so gewalttätig verlaufend, kam es in Deutschland schon dreißig Jahre früher. Im fränkischen Dorf Heroldsbach bei Forchheim war seit Oktober 1949 bis 1952 ebenfalls einer Gruppe von Kindern zunächst angeblich die heilige Maria erschienen und später eine ganze Heerschar von Heiligen und Engeln. Auch hier wurden ganz ähnliche schlichte Botschaften übermittelt, und es entwickelte sich eine Wallfahrtsbewegung, die schnell zehntausende von Gläubigen nach Heroldsbach führte. Der Bamberger Erzbischof Kolb lehnte die Erscheinungen als nicht übernatürlich ab und verbot jede Wallfahrt zur »Rosenkönigin«, wie Maria an dem Erscheinungsort angeblich genannt werden wollte. Auch hier unterstützte Rom die Position des Erzbischofs. Als das römische Dekret von einem Bamberger Domkapitular in Heroldsbach verlesen wurde, hatte man vorsichtshalber 40 Mann von der Bayerischen Landespolizei als Personenschutz abgeordnet. Trotz massiven erzbischöflichen Drucks auf den Ortspfarrer, der die »Erscheinungen« für echt befand, bildete sich ein Verein, der eine Wallfahrtskirche baute und die Erinnerung an die Ereignisse wachhielt. 1998 schließlich, rechtzeitig vor der fälligen 50 -Jahr-Feier, fand Erzbischof Braun eine diplomatische Lösung: Es blieb zwar dabei, dass die Erscheinungen nicht als übernatürlich anerkannt wurden, aber die Erscheinungsstätte wurde von einer kirchlichen Stiftung übernommen und als Marienanbetungsstätte umgewidmet. Auch in Heroldsbach tummelt sich seitdem die Gemeinschaft Totus tuus, sie feierte dort im Juli 2010 das Andenken an » 29 Jahre Erscheinungen in Medjugorje«, und im August 2010 wurde Kardinal Schönborn aus Wien zur Feier der Heiligen Messe in Heroldsbach erwartet.
Diese Vorkommnisse zeigen, wie groß der Spagat geworden ist, den die Kirche macht – vielleicht machen muss – zwischen aufgeklärten Christen, an deren Seite sich plötzlich die theologischen Dogmatiker aus der Glaubenskongregation finden, und den Gläubigen, die eine wunderbare, mystische Kirche wollen, die auch vor Kitsch und Aberglauben nicht zurückschreckt, und darüber ganz anarchisch lehramtliche Dogmatik, Kirchenrecht, Hierarchie und selbst den den Konservativen sonst so wichtigen Gehorsam gegenüber dem Papst und den Bischöfen schlicht vergessen. Die Macht der Kirche ruht hier auf tönernen Füßen, und es wird eine Grenze sichtbar, die allen Überlegungen zu Reformen in der Kirche gesetzt ist. Eine ganz andere Frage ist freilich, ob es aus heutiger Sicht wahrhaftig ist und auf lange Sicht klug, wenn die Kirche Wunder, Wallfahrten oder Heilige anerkennt oder zumindest aktiv duldet, von deren Authentizität sie selbst nicht überzeugt ist. Müsste
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