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Schwarzbuch Kirche - Und führe uns nicht in Versuchung

Titel: Schwarzbuch Kirche - Und führe uns nicht in Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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zu Weihnachten des Jahres 800 vollzogene Kaiserkrönung erhielt Papst Leo III . die Vorhaut Jesu. Diese Reliquie wurde bis 1527 in der Lateranbasilika aufbewahrt und in diesem Jahr von deutschen Landsknechten bei der Plünderung Roms gestohlen. Weit kamen die Diebe nicht, 1557 wurde das gestohlene Stück in Calcata, 40 Kilometer nördlich von Rom, gefunden und seither dort ausgestellt und verehrt. Seit 1983 fehlt die Vorhaut allerdings, sie soll erneut gestohlen worden sein. Auch diese Reliquie hatte, wie viele andere, Doppelgänger und Kopien, und im Mittelalter soll es über ein Dutzend von Vorhäuten Jesu gegeben haben, über deren jeweilige Echtheit die Besitzer untereinander heftig stritten. Kriege, Feuer und Revolutionen haben sie alle vernichtet, und das Stück von Calcata ist nun auch verschwunden. Der Spagat der Kirche zwischen alter Frömmigkeit und moderner Theologie, zwischen Mittelalter und Moderne, er ist kleiner geworden, wenn auch nur um ein winziges Stück.
     
     

Die Faszination des Bösen
     
    Die Berührung mit dem Jenseits, die die Kirche in sich trägt – oder in sich zu tragen vorgibt, wie es Außenstehende formulieren –, besitzt aber noch einen zweiten, einen dunklen Aspekt. Die Welt der Engel und Heiligen, der Wunder und der Reliquien verweist auf das Gute und betont die Hoffnung. Sicher, für moderne Betrachter auf eine oft wunderliche Weise, aber im Mittelpunkt steht dabei immer, den Mensch aus seinem häufig betrüblichen und brutalen irdischen Dasein herauszuheben, wenn nicht in dieser Welt, dann doch wenigstens in der nächsten. Doch in der traditionell gläubigen Sichtweise existiert auch eine Gegenwirklichkeit, die Welt Satans und seiner Dämonen, die den Mensch zur Sünde verführen und ihn um sein Heil fürchten lassen. Gegen diese finsteren Mächte erhofft sich der Höllenfürchtige Beistand von seiner Kirche. Die Zahl solcher Ängstlichen ist größer, als man denkt, jedenfalls als man in Mitteleuropa denkt. Ein Indiz dafür ist beispielsweise, dass im sehr katholischen Land Paraguay das zuerst 2004 erschienene Buch des spanischen Exorzisten José Antonio Fortea mit dem sprechenden Titel Summa Daemoniaca ein Bestseller wurde, ja sogar die Auflage des Da Vinci Code übertraf.
    Wenn es aber um das Böse geht, scheint die Kirche nicht mehr nur einen Spagat zu machen, sondern eine veritable Doppelstrategie zu fahren. Nach dem aktuellen Katechismus der Kirche, der die offizielle Lehre zusammenfasst, wird das Böse als Person verstanden, also als Satan, wenngleich ohne Hörner, Pferdefuß und Schwefelgestank, als körperloses Geistwesen. »Sein Tun bringt schlimme geistige und mittelbar selbst physische Schäden über jeden Menschen und jede Gesellschaft.« Die Furcht vor dem Bösen, vor Satan und seinen Unterteufeln war früher in der Christenheit allgegenwärtig, die Kirche wusste Mittel dagegen und diese Mittel wurden auch ganz selbstverständlich angewendet. Das ist grundsätzlich auch heute noch so. Nur gibt es im Umgang mit dem Bösen eben zwei unterschiedliche Ansätze, einen für die aufgeklärten Gläubigen – man könnte zugespitzt sagen »des Nordens« – und einen anderen für das übrige Kirchenvolk. Die Kirche verfährt hier ganz entgegen ihrem sonst immer verfolgten Grundprinzip der Einheitlichkeit.
    Die für die Mehrheit bestimmte römische Verfahrensweise wurde erst 1999 mit einem neu formulierten Ritual des »Großen Exorzismus« geregelt, und bis heute werden von italienischen Bischöfen Priester zu Exorzisten bestimmt. Unter Papst Johannes Paul II ., der mit einem prominenten Exorzisten, dem 2008 verstorbenen Corrado Balducci, persönlich befreundet war, sollen allein in Italien 200 Priester zu Exorzisten bestellt worden sein. Einer von ihnen ist der bekannte Pater Gabriele Amorth, der bis heute in Rom wirkt. Er gründete in den 1990 er-Jahren die Internationale Vereinigung der Exorzisten, die 2004 zu einer Konferenz in Mexiko einlud, 500 Teilnehmer kamen. Ein nationales Treffen von 180 italienischen Exorzisten fand 2005 in Collevalenza bei Perugia statt. Papst Benedikt XVI . ermunterte die Exorzisten auf einer Generalaudienz am 14 . September 2005 ausdrücklich, »fortzufahren in ihrem wichtigen Auftrag im Dienst der Kirche, unterstützt von der wachen Aufmerksamkeit ihrer Bischöfe«. Regelmäßig werden in Rom Ausbildungskurse für Exorzisten gehalten, und mit einem gewissen Erstaunen wurde in der kirchlichen Öffentlichkeit wahrgenommen, dass zu den

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