Schwarzbuch ÖBB
Alles sieht gebraucht aus und wirkt schwer und klobig – ein deutlicher Unterschied zu den modern wirkenden Railjet-Waggons, die von genau solchen Loks gezogen werden.
Funktioniert leider nicht
Auf einem berührungsempfindlichen Bildschirm wird der elektronische Fahrplan angezeigt. Aber leider funktioniert das Weiterblättern nicht so richtig. Das sei ein generelles ÖBB -Problem, erklärt der Lokführer. Man überlasse es jedem einzelnen Lokführer, sich privat auf eigene Kosten eine Computer-Maus zu beschaffen. Die ÖBB erklären, das Notebook funktioniere einwandfrei. Falls nicht, werde sofort ein Ersatzgerät bereitgestellt.
Überhaupt, ergänzt der Lokführer, hinke die Ausstattung von ÖBB -Loks den technischen Möglichkeiten um Jahrzehnte hinterher. Beispielsweise gibt es immer noch kein zusammengefügtes System von Streckenplänen und aktuellen Standortbestimmungen der Züge. GPS ? Navigationsgeräte? – Das scheinen für die ÖBB Fremdwörter zu sein.
Aus dem vorigen Jahrhundert
Nach wie vor erteilen Fahrdienstleiter »Befehle« an Lokführer, die schriftlich per Botendienst an Bahnsteigen übergeben werden. Und nach wie vor gibt es in Österreich Eisenbahnlinien, deren Sicherheitstechnik teilweise noch aus dem vorvorigen Jahrhundert stammt. Etwa auf der Pottendorfer-Linie, die parallel zu der von uns benutzten Südbahnstrecke ebenfalls von Wien nach Wiener Neustadt verläuft.
Auf einigen neu gebauten Strecken wird seit kurzem das von der EU geförderte Sicherheitssystem ETCS Level 2 verwendet. In anderen europäischen Ländern scheint es zu funktionieren, in Österreich verursacht es noch häufig Betriebsstörungen. Anfang des Jahres 2013 konnte deshalb jeder fünfte Railjet nicht den neuen Wienerwaldtunnel benutzen, sondern musste auf der alten, langsameren Strecke fahren, mit fünfzehn Minuten Verspätung.
Die Selbstmörder-Strecke
Die Südbahn gilt bei den ÖBB als Selbstmörder-Strecke, erzählt der Lokführer. Vor einiger Zeit hat er selbst so ein Unglück erlebt. Wie aus dem Nichts wurde er von einem entsetzlichen Geräusch aufgeschreckt, direkt unterhalb seines Führerstandes. Er wusste sofort, was passiert war, betätigte die Notbremse und verständigte die Fahrdienstleitung. Dann lief alles so ab, wie er es in Schulungen gelernt hatte. Polizei und Rettung tauchten auf. Nein, er hat sich das nicht genau angesehen, er wollte das nicht! Allein schon das Geräusch und die Vorstellung dessen, was passiert ist, waren schrecklich.
Es dauerte einige Zeit, bis alles aufgeräumt war und er von einem Kollegen abgelöst wurde.
Schlangenlinie
Die Signale auf unserem Bahnsteig werden auf Grün gestellt, und wir fahren nun aus Wien hinaus in Richtung Süden. In der nächsten halben Stunde haben wir vor unseren Augen zwei Gleispaare, deren Abstand ständig wechselt, von vier Metern auf 4,70 und wieder zurück auf vier Meter. Es ist eine Schlangenlinie, hin und her und hin und her, ein Flickwerk von alt und neu. Immer wieder gibt es ein paar hundert Meter oder ein paar Kilometer mit verbreitertem Abstand zwischen den Gleispaaren.
Warum das? Friedrich Zs . Antwort ist ein zynisches Lachen. Dann erzählt er zwei ÖBB -Geschichten.
Der Subventions-Trick
Zunächst begann alles harmlos und unverdächtig. 1996 erließ die Europäische Kommission für den Bahnverkehr eine neue Richtlinie: Für den Bau von »Hochgeschwindigkeitsstrecken«, auf denen man mindestens 250 km/h fahren durfte, sollte es EU -Subventionen geben.
Die österreichischen Verkehrsfachleute und -politiker dachten sich: Her mit den Subventionen – aber nach unseren eigenen Regeln, egal, was die EU vorschreibt. Und tauschten zunächst den Begriff »Hochgeschwindigkeitsstrecken« gegen den etwas einfacheren Begriff »Hochleistungsstrecken« aus. Dann ersetzten sie noch die Zahl 250 durch 200.
Was zur Folge hatte, dass man in Österreich zunächst nur Strecken für maximal 200 km/h baute. Denn die nagelneuen Taurus-Loks der ÖBB , die den teuren Träumen des ehemaligen Generaldirektors Helmut Draxler entstammten, konnten sowieso nicht 250 km/h fahren.
Der Trick fliegt auf
Die Aussicht auf EU -Geld sorgte in Österreich für einen kleinen Bau-Boom, und die ÖBB begannen, da und dort kleine Abschnitte von »Hochleistungsstrecken« zu bauen und Subventionen zu kassieren. Hier zwei Kilometer, da fünf Kilometer – ein übers ganze Land verstreutes Flickwerk, das den Eisenbahnverkehr aber nur wenig oder gar nicht beschleunigte. Das beste Beispiel
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