Schwarzbuch ÖBB
verantwortlich ist oder war, könnte wohl nur von der Justiz geklärt werden. Eine nicht unbedeutende Rolle spielte vermutlich die im Jahr 1989 gegründete staatliche Hochleistungsstrecken AG , die 2005 in die ÖBB -Infrastruktur AG eingegliedert wurde.
Kritik am Gleisabstand
Vereinzelt gab es Bahn-Fachleute, denen der »österreichische« Gleisabstand doch sehr merkwürdig vorkam. Beispielsweise äußerten zwei Diplomingenieure der Universität Innsbruck beim »Österreichischen Tunneltag« in Salzburg im Jahr 2002 vorsichtige Kritik: »Von Seiten der österreichischen Bahnbetreiber sollte nochmals überprüft werden, ob der Gleisabstand nicht auf 4,50 Meter reduziert und damit eine erhebliche Reduktion der Baukosten erzielt werden kann.«
Dieser Appell verhallte ungehört. Und so wird ganz Österreich nach und nach mit Bahnstrecken bebaut, die breiter und teurer sind als notwendig.
Langsamer als notwendig
ÖBB -Insider Friedrich Z. lenkt meinen Blick wieder auf die Gleise vor uns: »Auf dieser Strecke darf man 160 km/h fahren, unser Zug aber höchstens 140 km/h.« Mit kleinen Verbesserungen und Umbauten, meint er, könnte man hier jedoch eine Geschwindigkeit von 200 km/h erreichen. Das würde die Fahrzeit von Wien nach Wiener Neustadt sehr rasch von 25 Minuten auf sechzehn oder siebzehn verkürzen.
Und warum, frage ich, geschieht das nicht?
Friedrich Zs . zynische Antwort: Da würden die Baufirmen zu wenig verdienen. Stattdessen stecke man Milliarden in fragwürdige Tunnelbauten. Zwar könne man damit die Fahrzeit ebenfalls verkürzen, aber das dauere halt zehn oder fünfzehn Jahre. Außerdem, fügt er hinzu, sei es immer schon eine Eigenheit der ÖBB gewesen, auf manchen Strecken langsamer als notwendig zu fahren.
Die ÖBB erklären dazu, der durchgehende Ausbau auf 160 km/h sei im Zielnetz 2025 vorgesehen.
Gleiswechsel
Der Grundsatz »langsamer als notwendig« gilt auch für einige Streckenteile zwischen Wiener Neustadt und Payerbach, die noch vor uns liegen. Beispielsweise werden wir in Neunkirchen einen Gleiswechsel vornehmen, von der rechten Spur auf die linke, und danach eine weitere Spur nach links und noch eine. Die ersten beiden Weichen sind so langgezogen, dass wir 100 km/h fahren könnten, aber die dritte ist so kurz und nur für 60 km/h zugelassen, dass wir vorzeitig abbremsen und im gesamten Abschnitt nur 60 km/h fahren dürfen.
Es gibt auf dieser Strecke mehrere Stellen dieser Art. Beispielsweise gleich nach Ternitz. Beim Bahnhof Pottschach gibt es eine andere, ebenfalls ohne erkennbaren Grund eingebaute Geschwindigkeitsbremse: zuerst ein kleiner Gleisschwenk nach rechts und dann wieder nach links. Warum? Die ÖBB erklären dazu, dass Gleiswechsel nur in Ausnahmefällen notwendig sind und deshalb keine höheren Geschwindigkeiten erfordern.
Europäischer Normen-Wirrwarr
Friedrich Z. glaubt, dass es noch viele Jahrzehnte dauern wird, bis wir europaweit einheitliche Normen für den Bahnverkehr haben. Die EU empfiehlt beispielsweise, Bahnsteige nicht länger als 400 Meter zu bauen. Österreich muss da aber gleich aus der Reihe tanzen und hat sich auf der Westbahn wegen der doppelten Railjetgarnitur auf 410 Meter festgelegt. Der Bahnhof St. Pölten hat eine Bahnsteiglänge von 440 Metern, Linz von 500 Metern, Innsbruck von 517 Metern, und so weiter. Sachliche Gründe gibt es dafür kaum. Wir wollen halt einfach anders sein, nach dem Motto: zum Teufel mit der EU und zum Teufel mit europaweit geltenden Normen.
Ein anderes Beispiel: In Österreich und Deutschland herrscht bei der Bahn Rechtsverkehr, in Italien Linksverkehr. Österreichische Züge müssen deshalb an der italienischen Grenze wechseln. So etwas kostet Unmengen von Geld, vor allem beim Bau von grenzüberschreitenden Tunneln wie am Brenner.
Der Kunde, kein König
Der Bahnhof Wiener Neustadt ist unser erster Halt. Unser Lokführer stoppt den Zug nicht an der Stelle, wo er laut Signal stehen bleiben soll, sondern 150 Meter davor – bei einer großen Gruppe von wartenden Passagieren. Das ist zwar kein Dienst nach Vorschrift, aber Dienst am Kunden – weil er ihnen einen unnötigen Fußweg erspart. Üblich sei das nicht, sagt Friedrich Z. , viele Lokführer würden meist »vorschriftsmäßig« anhalten.
Bei der Ausfahrt aus dem Bahnhof macht mich Friedrich Z. darauf aufmerksam, dass wir hier nur mit 100 km/h fahren dürfen. Bis vor kurzem waren 120 km/h erlaubt. Warum diese Verlangsamung? Laut ÖBB wurde die Geschwindigkeit nicht
Weitere Kostenlose Bücher