Schwarzbuch ÖBB
Lok mitzufahren – um zu zeigen, wie die ÖBB an ihren Kunden vorbei planen und investieren. Wir werden einen fahrplanmäßigen Regionalexpress ( REX ) benutzen, der von Wien bis nach Payerbach-Reichenau am Semmering und wieder retour fährt – eine Stunde hin, eineinhalb Stunden zurück.
Weil dieser Insider sich davor fürchtet, Schwierigkeiten mit den ÖBB zu bekommen, wird er für die folgende Geschichte nicht seinen richtigen Namen tragen, sondern Friedrich Z. heißen. Friedrich Z. erklärt mir, es sei schwierig gewesen, einen Lokführer zu finden, der uns mitfahren lässt. Denn die ÖBB seien bekannt dafür, interne Kritiker gnadenlos zu bekämpfen.
Der Lokführer wird uns an einem Werktag im April 2013 am Bahnhof Wien-Meidling während der Hauptverkehrszeit zusteigen lassen. Friedrich Z. und ich sind bereits eine Stunde früher am Bahnsteig, und weil wir noch genügend Zeit haben, macht er mich auf einige Details aufmerksam, die Reisenden normalerweise nicht ins Auge fallen. Es sind nur Kleinigkeiten, aber sie machen deutlich, dass Kunden bei den ÖBB oft nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen.
Fit mach mit
Viele Lokführer haben die schlechte Angewohnheit, den Zug am Bahnsteig in unnötig weiter Entfernung vom Zu- und Abgang am Bahnsteig anzuhalten. Das sorgt vor allem bei Reisenden im Nah- und Regionalverkehr für Probleme. Denn diese haben im Unterschied zu Fernverkehrsreisenden meist einen festen Zeitplan mit wenig Spielraum beim Ein- oder Umsteigen.
Dann folgt das, was Friedrich Z. spöttisch das »Fit-mach-mit-Programm der ÖBB « nennt: Wenn der Zug zehn, zwanzig, dreißig Meter entfernt vom Zu- oder Abgang des Bahnsteigs hält, geraten die Reisenden in Eile und rennen zur nächsten Waggontür. Dort staut es sich, Tür auf, Tür zu – und der Zug fährt verspätet ab.
Falsch angebrachte Lichtschranken
Manche Verspätungen werden auch durch schlechte technische Lösungen verursacht, die das Schließen der Waggontüren verhindern sollen, etwa durch Lichtschranken. Dummerweise sind sie bei den Doppelstockwagen so angebracht, dass dieser Mechanismus oft unnötig in Gang gesetzt wird – weil die Lichtschranke nicht im Türrahmen befestigt ist, sondern einige Zentimeter innerhalb des Waggons. Dazu kommt noch, dass durch Berühren von Tür-Haltestangen das Schließen ebenfalls verhindert wird.
Übrigens gab es bei den U-Bahnen in Wien ähnliche Probleme, die bereits vor dem Bau der ÖBB -Doppelstockwagen korrigiert wurden. Bei den ÖBB dauert so etwas länger.
Ein Zug nach dem anderen
Anhand der Fahrpläne zeigt mir Friedrich Z. , wie stark frequentiert die vor uns liegende Strecke ist.
Beispielsweise fährt um 16 Uhr ein Regionalzug von Wien-Meidling ohne Zwischenhalt bis Wiener Neustadt.
Er erreicht sein Ziel um 16 Uhr 25. Die Fahrzeit beträgt also 25 Minuten.
Um 16 Uhr 03, also nur drei Minuten nach Abfahrt des Regionalzuges, fährt ein schneller Eurocity-Zug ebenfalls vom Bahnhof Wien-Meidling ohne Zwischenhalt nach Wiener Neustadt und erreicht sein Ziel um 16 Uhr 28 – also drei Minuten nach Ankunft des Regionalzuges.
Wir haben hier also zwei Züge, die innerhalb von nur drei Minuten dasselbe Ziel haben und dafür dieselbe Reisezeit benötigen: 25 Minuten.
Um 17, um 18 und um 19 Uhr geschieht Ähnliches:
Ein schneller Railjet fährt mit einem Abstand von drei Minuten vom Bahnhof Wien-Meidling nach Wiener Neustadt – und erreicht nach jeweils 25 Minuten den Zielort im Abstand von drei Minuten.
Warum fahren jeweils zwei schnelle Züge so knapp hintereinander dieselbe Strecke?
Die ÖBB erklären dazu, dass es sich dabei nicht um einen Planungsfehler handle, sondern das damit zu tun habe, dass zur Hauptverkehrszeit am Nachmittag viele Pendler von Wien nach Wiener Neustadt unterwegs sind und in diesem Abschnitt keine anderen schnellen Trassen zur Verfügung stehen. Dieser Fahrplan ermögliche es den Reisenden, alle Anschlusszüge zu erreichen.
Lok-Träume …
Der von Friedrich Z. und mir erwartete Regionalzug wird von einer sogenannten »Taurus«-Lok gezogen. Es ist genau dieselbe Lok, die auch für Railjets im Fernverkehr und für Güterzüge eingesetzt wird. Sie kann eine Geschwindigkeit von bis zu 230 km/h erreichen.
Verantwortlich für den Kauf dieser Loks war der von 1993 bis 2001 amtierende ÖBB -Generaldirektor Helmut Draxler. Seine Absicht war es, einen europaweiten Fuhrpark für Loks zu schaffen, bei dem er Vorsitzender werden wollte. Jedes Land sollte eine gewisse
Weitere Kostenlose Bücher