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Schwarze Engel

Schwarze Engel

Titel: Schwarze Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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zu spät kam, hatten sie ihn liegengelassen. Wenig später tauchten die Fernseh-Hubschrauber über ihnen auf, und Sanitäter kamen und kümmerten sich um Bosch. Er hatte auf dem Nasensattel und an der linken Augenbraue Platzwunden, die gesäubert und genäht werden mußten, aber er weigerte sich, ins Krankenhaus mitzukommen. Sie entfernten die Glassplitter und verbanden die Wunden mit elastischem Pflaster. Dann überließen sie ihn sich selbst.
    Danach wanderte Bosch – wie lang, wußte er nicht – hinter der Absperrung herum, bis ein Lieutenant der Streifenpolizei zu ihm kam und ihm sagte, er müsse in die Seventyseventh Street Division zurück, um mit den Detectives zu sprechen, die die Ermittlungen übernehmen würden. Der Lieutenant bot ihm an, ihn von zwei seiner Leute hinbringen zu lassen. Als Bosch abwesend nickte, forderte der Lieutenant durch sein Megaphon einen Wagen an. Boschs Blick fiel auf den geplünderten Laden auf der anderen Straßenseite. Über dem Eingang stand in grüner Neonschrift FORTUNE LIQUORS. Bosch sagte zu dem Lieutenant, er sei gleich wieder zurück. Dann wandte er sich von ihm ab und ging über die Straße und in den Laden.
    Der Laden war lang und schmal und hatte bis vor wenigen Stunden drei Regalreihen voll mit Ware gehabt. Doch inzwischen waren die Regale von den Plünderern, die ihn gestürmt hatten, ausgeräumt und umgeworfen worden. Der Boden war fast überall knöchelhoch mit Müll übersät, und es stank nach verschüttetem Bier und Wein. Vorsichtig trat Bosch an den Ladentisch, auf dem nichts war als die Plastikringe eines befreiten Sechserpacks. Er beugte sich darüber, um dahinterzusehen, und hätte fast einen Schrei ausgestoßen, als er den kleinen Asiaten sah, der, die Knie an die Brust gezogen und die Arme darum geschlungen, auf dem Boden hockte.
    Sie sahen sich lange an. Die ganze linke Gesichtshälfte des Mannes war angeschwollen und verfärbt. Bosch nahm an, daß ihn eine Flasche getroffen hatte. Er nickte dem Mann zu, aber er reagierte nicht.
    »Alles okay?«
    Der Mann nickte, sah aber Bosch nicht an.
    »Soll ich die Sanitäter holen?«
    Der Mann schüttelte den Kopf.
    »Haben sie alle Zigaretten mitgenommen?«
    Der Mann antwortete nicht. Bosch beugte sich weiter vor und sah unter den Ladentisch. Er sah die Registrierkasse – mit offener Schublade – mit der Seite auf dem Boden liegen. Überall lagen braune Tüten und Streichholzheftchen herum. Auch leere Zigarettenstangen. Als er sich mit dem Bauch auf den Ladentisch legte, kam er mit den Händen so weit nach unten, daß er das Durcheinander auf dem Boden durchwühlen konnte. Aber seine Suche nach einer Zigarette war erfolglos.
    »Hier.«
    Bosch sah den auf dem Boden sitzenden Mann an, der eine Packung Camel aus der Tasche zog. Er schüttelte eine Zigarette heraus – es war die letzte – und hielt sie Bosch hin.
    »Nein, Mann, das ist Ihre letzte. Ist schon okay.«
    »Nein, nehmen Sie!«
    Bosch zögerte.
    »Wirklich?«
    »Bitte.«
    Bosch nahm die Zigarette und nickte. Er hob ein Heftchen Streichhölzer vom Boden auf.
    »Danke.«
    Er nickte dem Mann noch einmal zu und verließ den Laden.
    Draußen steckte er sich die Zigarette in den Mund und sog die Luft durch sie, schmeckte sie. Genoß sie. Er klappte das Heftchen auf und zündete die Zigarette an und zog sich den Rauch in die Lungen und behielt ihn dort.
    »Scheiß drauf.«
    Er atmete tief aus und sah zu, wie der Rauch verschwand. Er klappte das Streichholzheftchen zu und sah darauf. Auf einer Seite stand FORTUNE LIQUORS und auf der anderen FORTUNE MATCHES. Mit dem Daumen klappte er es noch einmal auf und las die Glücksprophezeiung, die über den roten Streichholzköpfen auf die Innenseite gedruckt war.
     
    GLÜCKLICH DER MANN, DER ZUFLUCHT IN SICH SELBST FINDET
     
    Bosch schloß das Heftchen und steckte es in seine Hosentasche. Dabei spürte er dort etwas anderes und zog es heraus. Es war der kleine Beutel mit Reis von seiner Hochzeit. Er warf ihn einen Meter in die Luft und fing ihn auf. Dann drückte er ihn fest in seiner Faust und steckte ihn wieder ein.
    Er blickte über die Absperrung zu der Kreuzung, wo Chastains Leiche inzwischen mit einem gelben Regenumhang aus dem Kofferraum eines Streifenwagens zugedeckt worden war. Innerhalb des abgeriegelten Gebiets war ein kleinerer Bereich abgesperrt worden, in dem gerade die Ermittlungen begannen.
    Bosch dachte an Chastain und an das Entsetzen, das er empfunden haben mußte, als die Hände des Hasses ins

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