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Schwarze Engel

Schwarze Engel

Titel: Schwarze Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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instinktiven Bedürfnis seiner Augen, geschlossen zu bleiben, und schaffte es, sie weit genug aufzubekommen, um einen schmalen Spalt verschwommenen und schmerzhaften Sehens zuzulassen. Der Wagen sprang in die leeren Fahrspuren des Normandie Boulevard, und er steuerte ihn auf die Sperre zu. An der Sperre, wußte er, befand er sich in Sicherheit. Er behielt die Hand die ganze Zeit auf der Hupe, und als er die Absperrungen erreichte, durchbrach er sie, und trat erst dann auf die Bremse. Der Wagen brach hinten aus und blieb stehen.
    Bosch schloß die Augen und rührte sich nicht. Er hörte Schritte und Rufe, aber er wußte, diesmal waren es Cops, die auf ihn zukamen. Er war in Sicherheit. Er tastete nach dem Schalthebel und nahm den Gang heraus. Er öffnete die Tür, und sofort waren Hände zur Stelle, um ihm nach draußen zu helfen, und er hörte die tröstlichen Stimmen der blauen Rasse.
    »Alles in Ordnung, Mann? Sollen wir den Notarzt rufen?«
    »Meine Augen.«
    »Okay, halten Sie ganz still! Wir holen jemand. Lehnen Sie sich hier gegen den Wagen.«
    Bosch hörte zu, wie einer der Polizisten in ein Megaphon bellte, daß ein verletzter Kollege medizinische Versorgung brauchte, und zwar umgehend. Bosch hatte sich nie geborgener gefühlt als in diesem Moment. Er wollte jedem seiner Retter einzeln danken. Aus irgendeinem Grund fühlte er sich ganz ruhig und zugleich euphorisch, wie in Vietnam, wenn er mit heiler Haut aus den Tunnels gekommen war. Er hob die Hände wieder an sein Gesicht und versuchte, ein Auge zu öffnen. Er konnte Blut über seinen Nasensattel fließen spüren. Er wußte, er war am Leben.
    »Lieber nicht anfassen«, sagte eine Stimme. »Sieht nicht sehr gut aus.«
    »Was haben Sie dort allein gemacht?« wollte eine andere wissen.
    Bosch bekam sein linkes Auge auf und sah einen jungen schwarzen Streifenpolizisten vor sich stehen. Rechts stand ein weißer Polizist.
    »Ich war nicht allein.«
    Er bückte sich und sah auf den Rücksitz des Wagens. Er war leer. Er sah vorne nach, und auch dort war niemand. Chastain war weg. Boschs Aktenkoffer war weg. Er richtete sich auf und blickte die Straße hinunter zu der Menschenmenge. Um besser sehen zu können, hob er die Hand und wischte sich das Blut und den Whiskey aus den Augen. Es waren etwa fünfzehn bis zwanzig Männer, die dicht beisammenstanden und alle auf etwas blickten, das sich in der Mitte ihrer brodelnden Masse befand. Bosch konnte heftige, aggressive Bewegungen erkennen, Beine, die zutraten, Fäuste, die gehoben wurden und dann in den Mittelpunkt der Menschenmenge hinabsausten, wo sie seinem Blick entzogen waren.
    »Um Himmels willen!« entfuhr es dem Streifenpolizisten neben ihm. »Ist das einer von uns? Haben sie einen von uns?«
    Der Mann wartete nicht auf Boschs Antwort. Er hob das Megaphon wieder an die Lippen und forderte rasch alle verfügbaren Kräfte für einen Kollege-braucht-Hilfe-Einsatz an. Infiziert vom Schrecken dessen, was er eine Straße weiter beobachtete, schnappte seine Stimme über. Darauf rannten die zwei Polizisten zu ihren Autos, und die Streifenwagen rasten auf den Mob zu.
    Bosch sah nur zu. Und dann machte sich in der Menge eine Veränderung bemerkbar. Der Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit befand sich nicht mehr auf dem Boden, sondern kam nach oben, wurde hochgehoben. Wenige Augenblicke später konnte Bosch sehen, wie sich Chastains Körper über ihre Köpfe hob und hochgehalten wurde wie eine Trophäe, die nach einem gewonnenen Match von einem Spieler zum anderen weitergereicht wird. Sein Hemd war jetzt ohne Dienstmarke und aufgerissen, seine Arme waren noch von den Handschellen gefesselt. Ein Schuh und die dazu gehörige Socke fehlten, und der elfenbeinweiße Fuß stand hervor wie das Weiß des Knochens bei einem offenen Bruch. Es war zwar von da, wo er stand, schwer zu erkennen, aber Bosch glaubte, Chastains Augen waren offen. Daß sein Mund weit offen war, konnte er sehen. Bosch hörte einen scharfen, durchdringenden Laut, den er zuerst für die Sirene eines der zu Hilfe kommenden Streifenwagen hielt. Doch dann merkte er, es war Chastain, der aufschrie, bevor er in den Mittelpunkt der Meute zurückfiel, wo er nicht mehr zu sehen war.

39
    V on den Absperrungen beobachtete Bosch, wie ein Trupp Streifenpolizisten auf die Kreuzung stürmte und Mitglieder des Mobs zu ergreifen versuchte. Der Körper John Chastains lag wie ein von einem Lkw gefallener Wäschesack auf der Straße. Nachdem sie festgestellt hatten, daß jede Hilfe

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