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Schwarze Fluten - Roman

Schwarze Fluten - Roman

Titel: Schwarze Fluten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
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sind die Wände.«
    Ich wartete, und als er nichts mehr sagte, bemerkte ich mit einem gewissen Frust, auf den ich nicht stolz war: »Wände. Genau. Wie wahr. Auf Wände können wir leider nicht verzichten. Oder vielleicht doch? Man fängt mit Wänden an, und dann braucht man eine Decke. Und Böden. Und Türen. Es hört einfach nie auf. Zelte. Das wäre eventuell eine Lösung.«
    Falls er mir überhaupt zugehört hatte, nahm er meinen Sarkasmus nicht wahr. »Ich hatte noch fünf Wochen Urlaub übrig, aber ich hab’s einfach nicht ausgehalten, da draußen zu sein. Ich hasse die Mauer um Roseland, aber das Tor darin ist ein Tor nach nirgendwo.«
    Wieder wartete ich eine Weile, doch er schwieg. »Also, so wie ich es sehe, ist dieses Tor ein Tor nach überallhin «, sagte ich, um ihn aus der Reserve zu locken. »Dahinter breitet sich die ganze Welt aus.«
    Zuerst dachte ich, er würde über meine schlaue Bemerkung nachdenken, aber das tat er nicht. Unvermittelt verfiel er in einen scheinbar völlig anderen Gedankengang.
    »Alles zerfällt«, zitierte er. »Das Zentrum hält nicht stand.«
    Obwohl ich diesen Vers erkannte, wusste ich nicht sofort, von wem er stammte.
    Bevor ich nachfragen konnte, fuhr Henry fort: »Sich in immer weiteren Kreisen drehend, hört der Falke den Falkner nicht. Alles zerfällt. Das Zentrum hält nicht stand.«
    »Yeats«, sagte ich und wäre womöglich stolz darauf gewesen, den Namen des Autors erraten zu haben, wenn ich nur verstanden hätte, was Henry damit sagen wollte.
    »Ich hasse es, dieses Roseland ohne Rosen, aber wenigstens hat es eine Mauer, und wenn es eine Mauer gibt, kann das Zentrum vielleicht doch standhalten.«
    Er war nicht hysterisch, nur irgendwie kryptisch, aber ich hätte ihn am liebsten geohrfeigt, bis er etwas Verständliches von sich gab, so wie der Held in Filmen manchmal jemanden ohrfeigt, der in Hysterie verfallen ist. Allerdings kann ich noch so frustriert sein, ich schlage nie einen Kerl, der eine Waffe im Schulterhalfter trägt. Schon gar nicht, wenn der Blazer, unter dem die Waffe sich verbirgt, extra so geschnitten ist, dass er rasch ziehen kann.
    Henry wandte den Blick von dem kreisenden Falken ab und sah mich an. Die Augen in seinem Gesicht, das so schön zu Huckleberry Finn gepasst hatte, waren jetzt so trostlos wie die von Hamlet.
    Seine Verletzlichkeit war nicht zu übersehen. Ich spürte, dass er sich mir so bereitwillig öffnete, weil er keine Freunde hatte und welche brauchte. Wenn ich entsprechend auf ihn einging, konnte ich ihm vielleicht Geheimnisse entlocken, die mir zu verstehen halfen, weshalb ich nach Roseland gekommen war und was ich hier tun musste.
    Wahre Freundschaft ist allerdings eine ganz besondere Sache, selbst wenn man keine Schwüre ablegt. Die Freunde, die ich in Pico Mundo und – seit ich von zu Hause weggegangen bin – anderswo gewonnen habe, haben mich vor der Verzweiflung gerettet und mir Hoffnung gemacht. Wenn ich nun darüber nachdachte, wie ich auf Henry eingehen konnte, so hieß das, ich wollte ihn manipulieren . Es war zwar nichts Falsches daran, schlechte Menschen zu manipulieren, um der Wahrheit zu ihrem Recht zu verhelfen, aber ich war nicht der Meinung, dass Henry Lolam ein schlechter Mensch war oder die Verachtung verdiente, mit der Manipulation immer verbunden ist. Ihm Freundschaft vorzuspielen hätte alle echten Freundschaften, die es in meinem Leben gab, entwertet.
    Weil ich zögerte, ging die Gelegenheit ungenutzt vorüber, und Henry sagte: »Es kommen nur selten Gäste nach Roseland.«
    »Die Frau, mit der ich reise, scheint Mr. Wolflaw irgendwie … verzaubert zu haben.«
    »Dabei ist sie gar nicht sein Typ. Sie ist weder ordinär noch schrill und aufgedonnert.«
    Indem er seinen Arbeitgeber beleidigte, machte Henry mir Hoffnung, dass er mich als Vertrauten behandeln würde, ohne von mir zu verlangen, Freundschaft zu heucheln.
    Zur Antwort schwieg ich lieber, und nach einem Augenblick Stille sagte Henry: »Du bist nicht ihr Lover, oder?«
    »Nein.«
    »Was bist du für sie?«
    »Ein Freund. Sie ist allein. Sie braucht Schutz.«
    Er sah mich unverwandt an, als wollte er mit seinem intensiven Blick betonen, was er sagte: »An ihr ist er nicht interessiert. Vielleicht ist es das Baby.«
    »Mr. Wolflaw? Was sollte der denn mit dem Baby anfangen wollen?«
    Obwohl Henry das Thema selbst zur Sprache gebracht hatte, scheute er davor zurück, es zu vertiefen. »Wer weiß?«, sagte er. »Vielleicht braucht er … etwas

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