Schwarze Fluten - Roman
Aquarium schmachtete, während hungrige, auf den Oberkellner wartende Gäste ans Glas klopften und Bemerkungen über seine Größe und Fleischigkeit machten.
Als ich aus der Futterkammer trat, fiel mir auf, dass das Südtor geschlossen war, während das im Norden genau so weit offen stand, wie ich es ganz am Anfang aufgeschoben hatte. Die Laternen, die vorher erloschen waren, leuchteten wieder. Hinter den Fenstern war der Tag, wie er sein sollte: voll Licht und im Osten heller als im Westen.
Misstrauisch pirschte ich durch den Stall zum offenen Tor, ohne dass eine Bedrohung aufgetaucht wäre.
Nachdem ich das Licht ausgeschaltet hatte und ins Freie trat, war der Morgen hell und mild und ganz normal. Das Licht einer einzigen Sonne spielte auf den Bäumen, dem Gras und dem sanft abfallenden Land. Der ferne Ozean war noch halb dunkel wie grauer Schiefer, der von helleren Schlieren durchzogen war. Der Stall warf einen einzigen schwarzen Schatten nach Westen, genau wie ich. Auch der Stein und die zerknüllte Coladose waren wieder aufgetaucht; wie alle Dinge ringsum projizierten sie ihre Silhouette im gewöhnlichen Tageslicht nur westwärts auf den Boden.
Einen Moment lang hatte irgendeine Kraft Chaos in den Tag gebracht, gefolgt von dieser Atempause. Ich dachte daran, dass viele Menschen immer wieder gegen die Ordnung rebellierten, weil sie ihr die vermeintliche Freiheit eines scheinbar kontrollierten Chaos vorzogen. Wenn das Chaos jedoch einmal halb entfesselt war, so konnte es nicht lange beherrscht werden; da hieß es alles oder nichts. Deshalb würde die Atempause nur kurz sein.
Was immer in Roseland geschah, es wurde von fehlgeleiteten Menschen verursacht, die nach Macht strebten, denn es war der Hunger nach der einen oder anderen Form von Macht, der an der Wurzel jeder niedrigen menschlichen Begierde bebte. Ich spürte, dass nicht nur das Gelände von Osten nach Westen abfiel. Auch die Realität war aus ihrem gewohnten Gleichgewicht gebracht worden und wurde nun stetig in einen immer schieferen Winkel gekippt, bis Roseland irgendwann plötzlich in den Abgrund rutschte. Dann würde die Vernunft in Wahnsinn umschlagen, und alle, die sich hier befanden, stürzten in den Tod.
Die Sonne war gerade erst aufgegangen, doch die Zeit wurde bereits knapp.
9
Falls der Anbruch der Nacht so bald nach der Morgendämmerung und die ebenso erstaunliche Umkehr dieser Erscheinung von anderen Bewohnern von Roseland beobachtet worden war, dann verhielten diese sich bemerkenswert gleichgültig. Während ich über das Gelände ging, hätte ich erwartet, dass zumindest einige Leute draußen standen und verwundert oder erschrocken in den Himmel blickten, doch es war niemand zu sehen. Obwohl mir nicht klar war, wie ein derart verblüffendes kosmisches Ereignis auf die Ställe begrenzt sein konnte, hatte offenbar nur ich es erlebt.
Ich sehe zwar die auf Erden verweilenden Toten, aber Halluzinationen habe ich nicht. Ich hatte auch nicht den Eindruck, dass Mr. Shilshom mein Croissant mit Peyote gewürzt hatte. Wenn der Wachmann im Pförtnerhaus, wohin ich unterwegs war, nichts über eine Sonnenfinsternis sagte, dann war der Wechsel von Tag zu Nacht und wieder zurück tatsächlich merkwürdig eng begrenzt gewesen.
Die fast drei Meter hohe und einen Meter dicke Mauer, von der das zwanzig Hektar große Anwesen umgeben war, hatte man aus Beton errichtet und mit vor Ort gesammelten Steinen verkleidet. Die einzige Lücke war das eindrucksvolle Tor an der Landstraße. Seine Flügel bestanden nicht aus Gitterstäben, durch die Neugierige hätten spähen können, sondern aus soliden Bronzeplatten. Verziert waren diese mit Kupferscheiben, wie sie auch in den Boden der Ställe eingesetzt waren.
Das Pförtnerhaus war ebenfalls aus Beton. Seine Fenster waren schmal und vergittert wie jene im Gästeturm, und seine eisenbeschlagene Eichentür erweckte den Eindruck, als sollte sie dem Ansturm von Barbaren widerstehen.
Über vier Meter breit, war das Gebäude ungewöhnlich groß für seinen Zweck. Darin untergebracht waren ein Büro, eine Kochnische und eine Toilette. Am zweiten Tag unseres Aufenthalts hatte ich einen kurzen Blick durch die offene Tür geworfen. Schon dabei war mir der Gewehrständer an der gegenüberliegenden Wand aufgefallen, der mit zwei Schrotflinten – eine mit Pistolengriff – und zwei Sturmgewehren bestückt war.
Offenbar hatte man vor, jedem Staubsaugervertreter unmissverständlich klarzumachen, dass ein Nein wirklich ernst
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