Schwarze Heimkehr
lauschte, hörte aber nichts. Er drehte den Knopf und klinkte die Tür auf. Dann trat er einen Schritt zurück und stieß sie auf. Er befand sich einem großen Raum, offensichtlich einem neuen Anbau der noch unvollendet war. Die an den Rändern verklebte Wandverkleidung war noch nicht gestrichen, und der Fußboden bestand aus unbehandeltem Holz, das mit kreideweißen Putzflecken und schwarzen Tintennotizen über Fenstermaße übersät war. Der einzige Einrichtungsgegenstand war ein grüner Metallschreibtisch, auf dem sich Computer, Modem, Softwareverpackungen und Handbücher stapelten. Aus einem Loch in der Decke baumelte ein an einer braunen Plastikbefestigung angebrachtes Kabel mit einer nackten Glühbirne herab, die allerdings nicht die Quelle der Beleuchtung war. In einem rauhen Steingefäß, das auf dem Boden stand, flackerte ein kleines Feuer, und in seinem Licht sah Croaker ein Krokodil.
Es war ein bösartig aussehendes, schuppiges Reptil, ein prähistorisches Raubtier, das im Menschen ein gefundenes Fressen sah. Das Tier kauerte in einer Ecke des Raums. Seine kleinen bernsteinfarbenen Augen glühten, während es Croakers Bewegungen verfolgte. Der dick gepanzerte Schwanz schlug warnend hin und her. Die schwarzen Lippen entblößten gelbliche Schneidezähne, und das Tier gab ein dunkles, kehliges Zischen von sich, während sich sein muskulöser Körper spannte.
Da sah Croaker Pablo Leyes. Er lag auf der linken Seite. Sein Rollstuhl war umgestürzt und bedeckte seinen Körper teilweise. Irgend jemand - oder irgend etwas - hatte ein großes Stück Fleisch aus seinem Körper herausgerissen. Es sah aus, als wäre sein Rückgrat durchtrennt worden.
Croaker machte einen Schritt in seine Richtung. Da schoß das Krokodil vor. Es öffnete sein großes graues Maul, schloß es aber wieder, als ein Gewehrschuß dröhnte. Croaker sprang zurück.
Er hörte das Lachen eines Mannes.
»
Cuidado, Seňor.
« Vorsicht! »Das Vieh wird sie töten, wenn sie ihm auch nur die kleinste Chance geben.«
Jemand löste sich aus dem Dunkel, das die rechte Seite des Raums einhüllte. »Außerdem ist Leyes tot. Glauben sie mir.« Ein rechteckiger weißer Verband bedeckte die Mitte seines Gesichtes.
»Heitor! Jesus, was haben sie hier angerichtet.«
»In der letzten Nacht habe ich geträumt, daß ich ganz allein wäre«, sagte Heitor. »Ich trieb taumelnd und hilflos durch einen gestirnten Himmel. Ich blickte auf diese Sterne, aber sie waren so weit weg, daß ihr Licht mich nicht beleuchten und ihre Schwerkraft mich nicht halten konnte. Dann bin ich aufgewacht. Ich wußte, daß ich von Ihnen geträumt hatte.« Heitor schnalzte tadelnd mit der Zunge.
»Aber das hier ist nicht Ihr Traum. Ich habe einen eigenen Willen.« Croaker stand ein wenig geduckt. »Und mit Ihren Gesetzen können sie sich zum Teufel scheren.«
Der riesige Kopf des Krokodils drehte sich, als würde es dem Gespräch folgen.
»Dann werden sie sterben, Seňor, genau wie Estrella und Pablo.«
Croaker kam es beinahe obszön vor, daß Heitor den Taufnamen seiner Opfer benutzte. Es erweckte den Eindruck von Vertrautheit. »Aber sie werden mich nicht jetzt töten, Heitor. Noch nicht. Sie werden warten, bis ich Juan Garcia Barbacena eine Kugel durch den Kopf gejagt habe.«
Barbacenas Name schien Heitor rasend zu machen. »Ich sollte derjenige sein, der ihn umlegt.« Er hatte einen flammenden Blick, während er sich gegen die Brust schlug. »Es ist nicht korrekt, und das habe ich von Anfang wir an gesagt!
Madre de mentiras
, diese Methode ist verdammt zu zivilisiert. Ich habe es Antonio wieder und wieder gesagt. Ein Scheißtyp wie Barbacena verdient einen so sauberen Tod nicht. Man sollte ihm erlauben zu sehen, wie sich das Reich des Vergessens langsam nähert, hier, in meinen Augen.« Er zeigte mit zwei Fingern darauf. »Und die Sache sollte in Übereinstimmung mit
Hetá I
erledigt werden.«
»Versuchen sie nicht, mir was einzureden«, sagte Croaker. »
Hetá I
ist eine Heilkunst, die sie und Antonio verfälscht und zu etwas Bestialischem und Bösartigem pervertiert haben.« Er beschrieb mit seinem Arm einen Bogen. »Sehen sie sich nur um. Estrella war eine Heilkundige und sie haben sie umgebracht. Hier wird nicht geheilt, hier gibt es nur Krankheit und Tod.«
Durch die Aufregung war Heitor das Blut ins Gesicht gestiegen. Ein rötlicher Flecken durchtränkte den Verband über seiner Nase. Er kauerte sich neben dem Krokodil nieder. »Sehen sie doch, was aus Ihren
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