Schwarze Heimkehr
gefallen, faszinierte ihn sogar.
»Ich hätte gern Zugang zu dem System«, sagte Croaker. »Vor ein paar Tagen habe ich mich eingeklinkt, indem ich einen Zugangscode der Polizei benutzt habe.«
»Damit können sie das System nicht knacken, glauben sie mir.«
»Ja, ich weiß. Deshalb bin ich hier.« Croaker mußte lauter sprechen, um den irrsinnigen Lärm aus dem Fernseher zu übertönen. Irgend jemand hatte ein Tor geschossen. »Ich habe ein paar Informationen vom Southern-Bell-System erhalten, die ich jetzt für falsch halte. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich mich freuen, wenn sie das abchecken könnten.«
Leyes grinste. »Zum Teufel, Sohn, nichts würde mir mehr Spaß machen.« Er blickte auf seinen Rollstuhl, und Croaker rückte ihn zurecht. »So ist's recht. Jetzt helfen sie mir mal in den Sattel.« Er stemmte sich mit seinen kräftigen Armen aus dem aufgepolsterten Stuhl hoch. Croaker packte ihn unter den Achseln, und Leyes klatschte auf den ledernen Rollstuhl wie ein Tiefseefisch auf das Deck eines Schiffes.
»Fühlen sie sich wie zu Hause«, rief er, während er mit dem Rollstuhl aus dem Wohnzimmer fuhr und dann den Flur zur Rückseite des Hauses hinabrollte. »Estrella ist in der Küche. Ich werde in ein paar Minuten mit der Hardware zurück sein.«
In der Küche stand eine große Kasserolle aus Eisen auf dem Herd, in der Gemüse und Kräuter langsam vor sich hinköchelten. Daneben stand ein hölzernes Hackbrett mit Grünzeug - Kopfsalat, Gurken, Koriander. Aber Estrella war nicht in der Küche.
Die Hintertür stand offen. Vielleicht brachte sie gerade den Müll hinaus. Croaker öffnete die Fliegentür und stand auf der kleinen Betonveranda. Er wartete, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Die dichten Zweige des schwarzgrünen Hibiskusbaumes schirmten das Mondlicht ab, und die Bougainvillea hing wie eine Flagge hinab. Durch die unbewegte, feuchte Luft hörte man Grillen zirpen und Frösche quaken.
»Mrs. Leyes?«
Ein Geräusch in der Nähe der drei Mülltonnen aus galvanisiertem Stahl veranlaßte ihn, von der Veranda herunterzusteigen. Seine Schritte waren im Gras und auf dem lehmigen Torfmull unter den Bäumen nicht zu hören.
Er fand sie zusammengekauert und mit dem Rücken an der mittleren Mülltonne lehnend. Ihre Ellbogen ruhten auf den hochgezogenen Knien, und sie hatte die Handgelenke übereinander gekreuzt. Sie saß in einer Art meditativer Haltung, einem Zustand der Ruhe, der aber zu erstarrt wirkte.
Als Croaker sich neben ihr niederkniete‚ sah er, daß ihre Lippen zusammengenäht worden waren. Ihre Augen standen offen, und sie starrte auf die Zweige der Bougainvillea, deren prachtvolle Farben in der Morgendämmerung wiedergeboren werden würden. Estrella Leyes würde es nicht mehr sehen können.
Croaker betastete mit zwei Fingern ihre Halsschlagader und fühlte keinen Puls. Er zog ein Taschenmesser hervor und schob die Klinge vorsichtig zwischen ihre Lippen. Aus dieser Nähe sah er die ordentlichen Nähte, die mit der kunstvollen Präzision eines Chirurgen zustande gebracht worden waren. Es sickerte kein Blut aus den Einstichen, was zeigte, daß ihr der Mund zugenäht worden war, als sie schon tot gewesen war. Als er die Nähte durchtrennt hatte, kippte ihr Unterkiefer herab. Ihr Mund war mit kleinen glatten Steinen gefüllt, die durch ihren Speichel dunkel und naß waren. Ein Tropfen fiel auf ihre Brust, wo sich um den schwarzen Griff eines Küchenmessers herum langsam ein dunkler Flecken ausbreitete. An dem Teil der Klinge, den Croaker sehen konnte, klebte Koriander. Croaker wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn, der ihm plötzlich ausgebrochen war. Er schoß in die Höhe, war mit drei Schritten wieder auf der Veranda und lief durch die Tür. Der köstliche Essengeruch kam ihm jetzt ekelhaft vor und verfolgte ihn durch den Korridor. Croaker ging geräuschlos wie Stone Tree es ihn gelehrt hatte. Er rollte seine Füße von der Ferse bis zum Zeh ab und verlagerte das Gewicht gleichmäßig auf die Außenseiten. Er blickte hinter jede Tür, an der er vorbeikam. Rechts war ein weißgekacheltes Bad, in dem es nach Sandelholz roch, und gegenüber, auf der linken Seite, ein kleines Arbeitszimmer mit einer ausklappbaren Couch, einem billigen Schreibtisch und einer karamelfarbenen Sisalbrücke. Weiter vorne befand sich links das Schlafzimmer, das in Rosa und getöntem Weiß gehalten war. Die letzte Tür auf der rechten Seite war geschlossen. Er
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