Schwarze Herzen
waren sie unterwegs, eine endlos lange, quälende Stunde, die gleichzeitig viel zu schnell verstrich, bis Geryon schließlich von Weitem die Mauer erkennen konnte. Als sie näher kamen und das ganze Ausmaß der Verwüstung sahen, traute er seinen Augen kaum. Die Dämonen hatten sich so fanatisch darauf gestürzt, dass die Barriere getränkt war von ihrem Blut. Stück für Stück hatten sie den Fels abgetragen – Fels, von dem nur noch eine papierdünne Schicht übrig war. Es konnte sich nur noch um Minuten handeln, bis sie ein Loch hineinbrechen würden.
Und da waren sie, die komplette Meute auf einem Fleck versammelt. Gigantische Kreaturen, jeder von ihnen mindestens drei Meter groß, und ihre Schultern so breit, dass selbst Geryon dagegen wie ein Zwerg wirkte. Unter ihrer pergamentartigen Haut schimmerte ihr Skelett hervor. Einige hatten Flügel, andere Schuppen – ihnen allen gemein war jedoch, wie grotesk sie in ihrer Bösartigkeit anmuteten. Rote Augen, Hörner wie Geryons, nur viel gewaltiger, und Klauen wie Dolche.
„Kadence“, zischte er.
„Ich versuche es, Geryon, ich schwöre, ich versuche es ja.“ Mit jedem Wort wurde ihre Stimme leiser, schwächer. „Aber …“
Eins der … Dinger hatte sie erspäht und lachte. Ein Laut, bei dem sich jedes einzelne seiner Haare aufstellte.
„Jetzt“, rief er Kadence zu. Bitte .
„Bleibt, wo ihr seid. Ich befehle es euch!“
Sie dachten nicht daran.
„Versuch es noch mal.“
„Tue ich.“ Sie starrte einem von ihnen so fest in die Augen, wie sie nur konnte. Nichts. Streckte gebieterisch die Hände in ihre Richtung aus – nichts. Stieß einen drohenden Schrei aus, in den sie all ihren Willen legte – doch noch immer geschah nichts. Die Hohen Herren zeigten keine Reaktion.
„Ich schaffe es nicht.“ Sie stöhnte erschöpft.
„Was ist mit dir?“ Alarmiert musterte er sie und bemerkte voller Entsetzen, dass sie kalkweiß geworden war. Genau wie in der Taverne. Er rannte zu ihr, schlang einen Arm um ihre Taille, um sie zu stützen, gerade noch rechtzeitig, bevor sie umfiel. War sein Plan mit der Bindung fehlgeschlagen? Hatte sich denn gar nichts an ihrer Abhängigkeit von der Mauer geändert? „Sprich mit mir, Kleines.“
Aus dem Augenwinkel sah er, wie die Dämonen die Köpfe zusammensteckten. Lachend. Malten sie sich schon aus, wie sie ihn töten würden?
„Ich bin mit dir und der Barriere verbunden. Ich spüre deine Stärke, ebenso wie ich ihre Schwäche spüre, und diese Gegensätze reißen mich auseinander!“ Sie schluchzte verzweifelt auf. „Es tut mir leid. So unendlich leid. All die Strapazen waren umsonst, Geryon. Umsonst! Ich bin verdammt. Das war ich von Anfang an, ich wollte es nur nicht wahrhaben.“
„Nicht umsonst. Sag so etwas nicht. Wir haben uns.“ Aber für wie lange noch? „Ich werde dich nicht sterben lassen.“
„Es ist vorbei, du kannst nichts mehr tun.“
Langsam kamen die Dämonen auf sie zu – Jäger, fixiert auf ihre Beute.
„Ich töte sie alle. Wir fliehen einfach. Wir …“
„Du bist das Beste, das mir jemals passiert ist“, sagte sie schwach und legte die Wange an seine Schulter.
„Ich verbiete dir, so zu reden, Kadence.“ Sich von ihm zu verabschieden. Denn genau das war es, was sie tat.
„Töte sie und rette dich. Flieh. Bitte. Lebe in Frieden und Freiheit, mein Liebster. Beides soll dein sein. Du verdienst es.“
Nein. Nein!
„Du wirst nicht sterben.“ Doch noch während er das sagte, begann die Mauer, bereits irreparabel beschädigt, zu knirschen. Kleine Stücke brachen heraus, das lange gefürchtete Loch erschien. „Versprich es!“
Kadences Knie gaben nach, und er wirbelte herum, hielt sie, legte sie sacht auf den Boden. Ihre Augen waren geschlossen.
„… so … leid … Liebster.“
„Nein. Du musst leben. Hörst du mich? Leben!“
Ihr Kopf sackte zur Seite.
Dann … nichts.
„Kadence.“ Er schüttelte sie. „Kadence!“
Keine Antwort. Doch ihre Brust hob und senkte sich noch immer, wenn auch fast unmerklich. Sie war nicht tot. Den Göttern sei Dank, tausendmal Dank.
„Sag mir, wie ich dir helfen kann, Kadence. Bitte.“
Sie rührte sich nicht.
„Bitte.“ Tränen brannten in seinen Augen. Er hatte nicht um die Frau geweint, die ihn verlassen hatte, nicht um das Leben, das er verloren hatte, aber um diese Frau weinte er bitterlich. Ich brauche dich doch . Ihr letzter Wunsch war gewesen, dass er die Hohen Herren aufhielt und dann der Hölle für immer den Rücken
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