Schwarze Herzen
Hoffnung flackerte in ihm auf. Hoffnung und Freude und Schock.
Er hatte sie nicht völlig verloren!
Ihr Leib mochte vergänglich sein, doch ihre Seele lebte weiter. Natürlich. Er hätte es wissen sollen. Jeden Tag hatte er die Geister der Toten gesehen, doch keiner von ihnen war so rein und kraftvoll gewesen wie ihrer. Sie konnten noch immer zusammen sein.
Er sprang auf, schaute ihr in die Augen, das Herz schlug ihm bis zum Hals, seine Knie waren weich. Sie lächelte ihn an. Traurig.
„Es tut mir so leid“, wiederholte sie. „Ich hätte mich niemals an dich binden dürfen. Niemals um deine Hilfe bitten.“
„Warum?“ Wenn er doch nicht glücklicher hätte sein können? Sie war hier, bei ihm. „Es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen müsstest. Ich bin derjenige, der dich im Stich gelassen hat.“
„Sag so etwas nicht, du hast mich nicht im Stich gelassen. Wärest du beim Tor geblieben, wie du es wolltest, hätte all das überhaupt nicht geschehen können.“
„Das stimmt nicht. Über kurz oder lang hätten die Dämonen die Mauer zerstört und damit auch dich, aber mir wäre nie die Möglichkeit, nein, das Geschenk vergönnt gewesen, mich mit dir zu vereinen. Ich bedaure nicht, was geschehen ist.“ Jetzt nicht mehr. Jetzt, da ihr Geist vor ihm stand, mit ihm sprach.
„Geryon …“
„Was ist mit den Dämonen?“, schnitt er ihr das Wort ab. Er würde nicht erlauben, dass sie sich weiter für ihre vermeintlichen Fehler marterte. Sie hatte keine begangen.
„Die Götter werden sicher versuchen, sie zurückzuholen, aber mein Versagen wird niemals in Vergessenheit geraten.“
Er schüttelte den Kopf. „Du hast dir nichts vorzuwerfen, mein Herz. Du hast alles in deiner Macht Stehende getan, um sie aufzuhalten. Die meisten anderen hätten nicht einmal den Schritt in die Hölle gewagt.“ Er neigte den Kopf zur Seite und betrachtete sie eingehender. Sie war so schön wie immer, ein opalisierendes Ebenbild ihres früheren Selbst. Schimmernd, durchscheinend, zerbrechlich. Noch immer fielen ihr die goldenen Locken über die Schultern. Noch immer sah sie ihn aus diesen glänzenden, wundervollen Augen an.
Bevor sie in sein Leben getreten war, hatte er nichts als Eintönigkeit gekannt, war verloren gewesen in einer unwirtlichen, endlosen Wüste. Jeder Augenblick ohne sie war … nun, die Hölle gewesen.
„Danke, mein geliebter Geryon. Aber selbst wenn die Mauer wieder aufgebaut werden könnte und die Dämonen irgendwie eingefangen; ich fürchte, den Göttern würde es nicht gelingen, sie hier zu halten.“ Sie seufzte. „Sie sind jetzt auf den Geschmack gekommen. Sie wissen, wie es ist, frei zu sein.“
„Die Götter finden eine Lösung“, versicherte er ihr. „Das tun sie immer.“ Er streckte die Hände nach ihr aus, um sie an sichzu ziehen, doch seine Arme glitten einfach durch sie hindurch, und verwirrt runzelte er die Stirn. Seine vorherige Freude wurde von plötzlicher Niedergeschlagenheit überschattet. Sie zu berühren war eine Notwendigkeit; wie sollte er ohne ihre Wärme leben, ohne ihre Weichheit?
Immer noch besser, darauf verzichten zu müssen, als auf sie .
„Nun verstehst du“, sagte sie traurig. „Wir können niemals wieder zusammen sein. Nicht auf diese Weise.“
„Das ist mir egal.“
„Aber mir nicht.“ Ihre Augen begannen feucht zu glänzen. „Nach allem, was du durchgemacht hast, verdienst du mehr als das hier. So viel mehr.“
„Ich will nur dich.“
Sie fuhr fort, als hätte sie ihn nicht gehört.
„Ich werde von hier fortgehen und allein auf der Erde umherstreifen.“ Entschlossen schüttelte sie den Kopf. Die Tränen stoben in feinen, durchsichtigen Tröpfchen durch die Luft. „Ich weiß, Göttern steht die Entscheidung frei, an welchem Ort sie sich nach ihrem Tod niederlassen möchten, aber ich verspüre kein Verlangen danach, in den Himmel zurückzugehen. Oder in der Hölle zu bleiben.“
Während sie sprach, kam ihm ein Gedanke. Ein verrückter Gedanke, doch er tat ihn nicht ab, sondern klammerte sich daran wie an einen Strohhalm.
Hast du wirklich vor, das zu tun?
Er sah sie an, ihre Blicke trafen sich, und er beschloss: Ja, ich habe wirklich vor, das zu tun .
„Als ich die Bindung mit dir eingegangen bin, Kadence, sollte sie für immer und ewig sein. Ich werde dich nicht aufgeben.“
„Aber du wirst mich nie wieder berühren können. Du wirst niemals …“
„Oh doch. Vertrau mir.“ Und mit diesen Worten rammte er sich seine tödlichen
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