Schwarze Herzen
zukehrte. Aber er brachte es nicht über sich, von ihrer Seite zu weichen.
Ohne sie gab es für ihn keinen Grund, weiterzuleben. Was sollte er dann noch auf der Welt?
Etwas Scharfes riss die Haut an seinem Hals auf, und er drehte den Kopf. Die Hohen Herren umkreisten sie in der Luft wie Aasgeier, überschlugen sich fast vor Schadenfreude.
„Verschwindet“, grollte er. Er würde hier bei ihr bleiben, so lange es nötig war; sie halten, bis es sicher genug wäre, sie zu bewegen.
„Tötet sie“, krächzte einer der Dämonen.
„Vernichtet sie“, stimmte ein anderer ein.
„Lasst uns sie zerfleischen.“
„Zu spät. Die ist hinüber.“
Mehr Gelächter.
Diese Bastarde! Einer von ihnen flog einen blitzschnellen Scheinangriff und ritzte mit seiner Kralle Kadence’ Wange, sodass Blut hervorquoll, ehe Geryon begriff, was geschah. Sie reagierte nicht. Aber er tat es. Er brüllte mit solch einer Wut, dass der Widerhall seines eigenen Schreis in seinen Ohren dröhnte.
Die übrigen Dämonen witterten den frischen Lebenssaft einer Göttin und schnurrten, berauscht von seinem appetitlichen Duft. Dann wurde es für einen Moment vollkommen still. Die Ruhe vor dem Sturm. Und im nächsten Augenblick stürzten sie sich auf ihre scheinbar hilflosen Opfer.
Wieder brüllte Geryon, warf sich über Kadence’ leblosen Körper, um sie mit seinem zu schützen. Bald schon war sein Rücken mit Striemen und tiefen Wunden übersät, eins seiner Hörner abgebrochen, dicke Büschel seines Fells herausgerissen. Und die ganze Zeit schlug er wild um sich, in der Hoffnung, so viele von ihnen zu erwischen wie nur möglich. Doch nur einer schaffte es nicht rechtzeitig, einem seiner Schläge auszuweichen, und stürzte zu Boden.
Weiter und weiter ging das Gemetzel, das Gelächter wurde immer irrsinniger.
„Ich liebe dich“, flüsterte Kadence plötzlich. „Dein Schrei hat mich … aus der Dunkelheit … geholt. Musste es dir … sagen.“
Sie war zu ihm zurückgekehrt? Seine Muskeln verkrampften sich, er konnte es kaum glauben.
„Ich liebe dich. Bleib bei mir, geh nicht wieder in die Dunkelheit. Bitte. Wenn du nur noch ein bisschen durchhältst, lang genug, um dich zu verteidigen, dann kann ich sie töten. Und danach gehen wir von hier fort.“
„Es tut mir … leid. Keine … Kraft.“
Dann würde er eben einen Weg finden, sie weiter zu beschützen und sie zu retten. Niemals hätte er sie in die Hölle geführt, hätte er geahnt, was sie erwartete. Er wäre für den Rest seines Daseins vor dem Tor stehen geblieben, ein lebendes Bollwerk, an dem nichts und niemand vorbeikam.
Moment. Bollwerk. Vorbeikommen. Diese Dämonen wollten nur eins: entkommen. Deshalb waren sie hier.
„Geht“, schrie er sie an. „Verlasst diesen Ort. Die Erde mit all ihren Bewohnern gehört euch.“ Das Schicksal der Menschen interessierte ihn nicht länger. Nur Kadence war wichtig.
Als hätte die Mauer nur noch auf seine Erlaubnis gewartet,begann sie zu beben und zu knacken … und brach in sich zusammen. Was bedeutete …
„Nein!“, schrie er. Das hatte er nicht kommen sehen. Doch es war zu spät, das Unheil war angerichtet.
Hämisch grinsend ließen die Dämonen von ihnen ab und flatterten in die Höhle hinaus, und binnen kürzester Zeit waren sie außer Sichtweite.
Neue Tränen brannten in Geryons Augen, als er Kadence in seine zerkratzten, blutigen Arme zog.
„Sag mir, dass die Mauer nicht mehr wichtig ist. Sag mir, dass ich dich in Sicherheit bringen kann. Dass wir zusammen sein werden.“
„Leb wohl, mein Geliebter“, hauchte sie und starb in seinen Armen.
20. KAPITEL
S ie war tot. Kadence war tot. Und es gab nichts, was er hätte tun können, um sie wieder lebendig zu machen. Das wusste er so sicher, wie er wusste, dass er den nächsten Atemzug tun würde. Einen unfreiwilligen, verhassten Atemzug. Tränen, heiß und salzig, rollten seine Wangen hinunter, wie um ihn daran zu erinnern, dass er lebte – und seine Kadence nicht.
Er hatte versagt. Sie enttäuscht. Im Stich gelassen.
Sie hatte gewollt, dass er die Mauer rettete, sie rettete. Sie hatte ihn um seine Hilfe dabei gebeten, die Hohen Herren in der Hölle zu halten. Und er hatte in jeder Hinsicht versagt. Versagt, versagt, versagt.
„Es tut mir so leid, Geryon.“
Was zum … An den Schultern hielt er sie ein Stück von sich weg, starrte in ihr unbewegtes Gesicht – und dann sah er fassungslos zu, wie ihre Seele ihren leblosen Körper verließ. Sie war … Sie war …
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