Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarze Küsse

Schwarze Küsse

Titel: Schwarze Küsse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joaquín Guerrero-Casasola
Vom Netzwerk:
»Mein Vater wird verrückt«, erzählt mir Teresa Sábato, »und meine Mutter hält es nicht aus, sie geht fort. Ich bleibe und wachse mit den tausend Geschichten auf, die im Ort erzählt werden. Dass meine Brüder von den Guerilleros ermordet wurden, nicht doch, es waren die Drogendealer, nein, es war der Mann, der die Kokosnüsse verkaufte … Ich erinnere mich deutlicher an diese Geschichten als an das Gesicht meiner Mutter. Alle sagen, dass sie eine große Sünde begangen hat, indem sie uns allein ließ. Das dachte ich auch, aber jetzt nicht mehr.«
    »Es tut mir leid«, sage ich.
    Teresa legt auf.

 
     
     
     
     
     
    W intilo wirkte nüchtern. Hin und wieder bewegte er den Kopf, lockerte die Muskeln und ließ auf seltsame Art den Unterkiefer hängen. Jedes Mal, wenn die Scheinwerfer eines vorbeifahrenden Autos die Fassade von Mama Bayous Sünde erfassten, sah ich hinüber. Der Name war in kursiver Neonschrift über dem Lokal angebracht.
    Wir kamen aus dem Sanborns, wo man uns gesagt hatte, Pablo Javier habe gekündigt und sei verreist. Die gleiche plötzliche Flucht wie beim Chirurgen Salmerón. Im Gegensatz zu ihm hatte sein Bruder keine Zeit mehr gehabt, rechtzeitig die Koffer zu packen. Der letzte Anruf von Doktor Palanca bestätigte die Todesursache: abgestochen und mit schwarzem Lippenstift auf dem Rücken verabschiedet.
    »Was machen wir hier?«
    »Fischen«, sagte Wintilo.
    Das Mama Bayou war eines dieser Lokale, die die merkwürdigsten Menschen anziehen. Das zumindest war mein Eindruck von den jungen Leuten, die vor der Tür Schlange standen und mit ihren schwarzen Klamotten, rechteckigen Brillen und ins Gesicht hängenden Ponyfransen an Vampire erinnerten. Frauen mit unglaublich weißer Haut. Ältere Männer, die sich gaben, als hätten sie die sieben Weltwunder gesehen und fänden sie zum Gähnen.
    »Es ist ja nicht so, dass ich sie nicht lieben würde«, stammelte Wintilo. »Es war schön, so lange es dauerte.«
    Ich ging nicht auf sein Thema ein.
    »Wann gehen wir rein?«
    »Gleich, pendejo, ich mache dir gerade eine vertrauliche Mitteilung. Sag mir, was ich machen soll!«
    »Was für eine vertrauliche Mitteilung?«
    »Habe ich dir doch bereits gesagt.«
    »Ich habe nichts gehört …«
    »Susana, ich rede von Susana. Ich habe gesagt, dass es schön war, so lange es dauerte. Aber ich will nichts Festes, und die Kleine schon … Sie gefällt mir. Sie ist wie Carmen. Erinnerst du dich an Carmen Valdés?«
    Der Name kam mir irgendwie bekannt vor.
    »Wir waren alle in Carmen Valdés verknallt.«
    »Gehen wir jetzt rein oder nicht?«
    »Ich sagte ja, wir gehen gleich, wir haben es nicht eilig … Susana ist die aus dem Zeittunnel zurückgekehrte Carmen Valdés.« Wintilo lehnte sich in seinem Sitz zurück und sagte hellsichtig: »Aber sie kommt zu spät, verstehst du? Sie kommt zu einer Zeit, in der schon zu viel Scheiße in dem Fluss schwimmt, der einmal kristallklar war …«
    »Du willst einen guten Rat?«, fragte ich.
    Wintilo nickte.
    »Lass sie in Ruhe.«
    »Du Scheißkerl, der gute Rat war für mich gedacht, nicht für sie.«
    »Lass sie einfach in Ruhe.«
    Plötzlich schien Wintilo meine Botschaft zu verstehen und nickte. Allerdings nicht ohne einen leisen Vorwurf im Gesichtsausdruck.
    »Gehen wir, es ist Zeit.«
    Wir marschierten auf den Türsteher zu. Wintilo nahm ihn beim Arm und versuchte, ihn zur Seite zu ziehen, aber er widersetzte sich. Dann sah er sich durch irgendetwas, das Wintilo ihm ins Ohr sagte, doch dazu gezwungen, beiseitezutreten. Diskret zeigte Wintilo das Innere seines Trenchcoats. Der Typ wurde nervös, und Wintilo umarmte ihn brüderlich. Er legte eine Hand auf sein Genick, lächelte und drückte ihm ein paar Geldscheine in die Hand.
    Wir gingen hinein, ohne durchsucht zu werden.
    Die Theke bestand aus einem etwa zwölf Meter langen, von innen beleuchteten Aquarium, in dem mehrere große Fische mit stierenden Blicken hin und her schwammen. Die Musik war das, was Kenner Blues nennen. Ein Schwarzer spielte seine Trompete auf einer Bühne, die kaum die Größe eines Sargs hatte. Seine Backen bliesen sich auf, als würde er gefoltert, aber aus seinen Augen sprühte das Vergnügen.
    Ungefähr zwei Meter von ihm entfernt haute ein dürrer Typ in die Tasten eines Klaviers von der Sorte, die man nicht einmal mit Samthandschuhen zu berühren wagt, weil sie allein für einen Beethoven gemacht scheinen.
    Wir suchten uns eine Ecke, von der aus wir sowohl die Leute, die sich der Bar

Weitere Kostenlose Bücher