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Schwarze Küsse

Schwarze Küsse

Titel: Schwarze Küsse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joaquín Guerrero-Casasola
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fuhr weiter und hielt mich an die langsamste Spur. Während ich mir den Rückspiegel richtig einstellte, befürchtete ich halb, Pater Pila würde hinter mir auftauchen und mich mit seinem Leichengesicht wütend anglotzen.
    Das Telefon klingelte. Es war wieder die metallische Stimme: »Mach dich bereit, nach Cuernavaca zu reisen, du Schwuchtel.«
    Mehr sagte sie nicht, und ich fragte nicht weiter nach, weil das die beste Art ist, kaltes Blut zu bewahren. Ich musste an Mariano del Moral denken, an all die Male, die ich ihn Blut und Wasser schwitzen sah, während er mit den Entführern seiner Tochter telefonierte und die Antworten stammelte, die ich ihm vorgab. Es ist nicht dasselbe, ob man selbst auf dem Feuerstuhl sitzt oder nur anderen dabei zusieht.
    Wieder klingelte das Telefon, es war Wintilo, der mich zu einer bestimmten Adresse beorderte. Auf meine Frage, wozu, hörte ich nur seinen gepressten Atem. Vierzig Minuten später liefen wir einen schmutzig grünen Gang mit abblätternden Wänden entlang. Sein Handy hörte nicht auf, in seinem Trenchcoat zu klingeln. Der Mantel war ihm viel zu groß, er sah aus wie ein Clown.
    »Scheiße!«, rief Wintilo, »Du hast es schon wieder versaut, Gil!«
    Er zog das Handy heraus. Als er sah, wer dran war, verzog er resigniert das Gesicht und nahm ab. »Ja, Teniente, lassen Sie hören …« Er war wie angewurzelt mitten auf dem Gang stehen geblieben. Plötzlich wurde eine Tür mit Aluminiumrahmen aufgestoßen und zum Vorschein kamen ein Rollwagen und darauf ein Körper, der mit einem weißen Laken bedeckt war. Zwei teilnahmslose Typen (einer von ihnen bohrte in der Nase) schoben den Wagen mit quietschenden Rädern auf eine andere Tür zu. »Nein, Teniente, ja, Teniente … Wessen Sünde?« Wintilo machte mir Zeichen, dass ich einen Kugelschreiber suchen und etwas notieren sollte. Ich wühlte in meinen Taschen, fand aber keinen. »Ja, Capitán, ich hab’s notiert. Mama Bayous Sünde … Spricht man das Bajuh? Ja … Nein … Ich kann leider kein Englisch, Boss. Verstehe. Ja, wir sind schon hier.« Er sah mich vorwurfsvoll an. »Ja, Señor, es ist meine Schuld. Sie wissen ja, dass ich halb bescheuert bin, aber ich versuche, mich zu bessern.« Er legte auf und schlug fest mit der Faust gegen die Wand.
    »Nimm das.« Er hielt mir ein zweites Handy hin. »Das ist von Spezialaufgaben. Und verrate mir nie wieder vertrauliche Informationen über dein verfluchtes Telefon, irgendjemand hört nämlich unsere Gespräche ab …«
    Wir gingen durch eine der Türen. Ein Typ, der in den Eingeweiden eines Verstorbenen herumstocherte und dabei schwitzte wie ein Schwein, drehte sich um und richtete seine Glupschaugen auf uns.
    »Doktor Palanca?«, fragte Wintilo.
    »Das, was von ihm übrig bleibt«, antwortete dieser und reckte den Hals aus einem Kittel, der so viele Flecken hatte wie der, den José Chón früher in seiner Taquería getragen hatte. »Ich arbeite seit achtzehn Stunden ohne Pause und bilde mir schon ein, dass die Toten mir zulächeln. Glauben Sie, die bezahlen mir Überstunden? Nicht doch! Und wenn ich mich beschwere, tun sie so, als wäre meine Personalakte verschwunden. Auf die Scheißrente kann ich wohl warten, bis ich schwarz werde …«
    »Joel Salmerón?« Wintilo deutete auf den Toten.
    »Salmerón oder sonst wer, es könnte auch meine eigene Mutter sein, ohne dass ich es gemerkt hätte. Haben Sie den rosa Wisch dabei?«
    Wintilo zeigte ihm einen rosa Zettel.
    Palanca glich ihn mit einem gelben Zettel ab, blickte auf die Leiche und nickte: »Ja, das ist der Mistkerl. Aber er ist noch lauwarm, in sechs Stunden sage ich Ihnen, an was er verreckt ist.«
    »Könnten Sie uns nicht einen kleinen Vorgeschmack geben?«, wollte ich wissen.
    »Ich habe gerade seine Eier abgeschnitten, möchten Sie sie mit Kaffee und Kahlúa?«
    »Ganz ruhig, Doc. Wir machen nur unsere Arbeit.«
    »Ach, und ich bin zum Spaß hier, oder wie?«
    Ich betrachtete die Leiche. Ihre Augen waren verquollen.
    »Welcher der beiden Salmeróns ist es?«, fragte ich Wintilo.
    »Der Geschäftsmann«, antwortete er.
    »Sagen Sie uns doch zumindest Ihre Meinung«, forderte ich Palanca auf. »An was ist er gestorben?«
    Der Arzt wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn, ging ein paar Schritte und öffnete jäh eine Schublade, in der eine ganze Stange Faros-Zigaretten lag. Er zog eine Schachtel heraus und daraus eine Zigarette. Nachdem er sie angezündet und daran gezogen hatte, sagte er: »Na gut.« Er blies den

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