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Schwarze Küsse

Schwarze Küsse

Titel: Schwarze Küsse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joaquín Guerrero-Casasola
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begann sie es zu singen, mit ihrer Stimme, die nach warmen Farben klang: » Down in Louisiana, where the alligators grow so mean, lived a girl that I swear to the world, made the alligators look tame …«
    Für mich begann eine Höllenfahrt, ein Albtraum, in dem sich alles wiederholte, in dem ich mich im Kreis drehte und mich doch nur wieder am selben Ort wiederfand. Ich zog mein Handy aus der Tasche und warf einen Blick darauf. Ich wartete auf den Anruf, auf eine präzise Anweisung. Und wieder, wie in jener Nacht, in der ich meinen Vater, den Perro Baleares, gesucht hatte, trat ich den Weg des Verzweifelten an, bog ab, fuhr geradeaus, machte kehrt, geführt von schwarzen Höllenhunden, deren Augen rot glühen, wenn sie von Leuchtfeuern erfasst werden.
    Ich wollte mich bewegen, aber ich konnte nicht, ich war am Stuhl festgeklebt. Mama Bayou übte mit ihrem Lied einen Voodoozauber auf mich aus, und sie wusste es. Und wie sie es wusste, ihre schwarzen Augen und ihre leuchtend weißen Zähne lachten mich aus.
    Ich schloss die Augen, damit sie von meiner Seele Besitz ergriff und es zu Ende brachte.
    Mama Bayou bedankte sich auf Spanisch, während die Musik im Hintergrund weiterspielte. Sie stellte ihren Gatten vor, den Typen am Piano. Äußerlich passten sie überhaupt nicht zusammen, aber unzählige Hotelzimmer und fremde Städte mussten sie in grenzenloser Liebe zusammengeschweißt haben.
    Wintilo gab mir vom Eingang her ein Zeichen.
    Mama Bayous Stimme nahm den Song wieder auf, und dieses Mal gestattete sie mir, mich von meinem Stuhl zu lösen und die Flucht zu ergreifen. Ich hörte sie honey rufen und über mich lachen, aber ich wagte nicht, mich umzudrehen, aus Angst, sie könnte mich in eine Salzsäule verwandeln, oder zumindest in braunen Zucker.
    Wir stiegen ins Auto. Etwas in mir war zerstört. Vielleicht enthielt diese Musik irgendeine bewusstseinsverändernde Droge, oder der Schatten von Pater Pila verfolgte mich, oder die Geschichte von Teresa Sábato und den Köpfen im Sack drehte mir, mit Unterstützung des Gins, den ich getrunken hatte, den Magen um.
    »Waren wir nicht hier, um zu fischen?«, fragte ich.
    »Genau das haben wir getan.«
    Irgendwo im Auto war ein Geräusch zu hören. Ich dachte an die Bremsen und blickte auf Wintilos Füße hinunter, die sich auf den Pedalen bewegten.
    »Hörst du das Geräusch?«, fragte ich.
    Er hob eine Hand zum Radio und stellte Musik an. Es war nichtssagende Musik, die noch nicht einmal ihn zu interessieren schien. Nach einer Weile vernahm ich trotz der aufgedrehten Musik wieder das Geräusch.
    »Vielleicht ist es der Motor«, äußerte ich. »Wir halten besser an.«
    »Nein, mein lieber Gil, es ist nicht der Motor …«
    »Was dann?«
    »Wir haben den Kofferraum voll.«
    »Voll mit was?«
    »Mit etwas, das sich bewegt …«
    Er suchte einen neuen Radiosender. Eine fröhliche tropische Musik erklang, die Wintilo sofort mitträllerte. Er fuhr auf die Ringautobahn, lenkte den Wagen auf die leere Überholspur und kurbelte das Fenster herunter, bis die Luft ihm den Schopf zerzauste. Es war ein üppiger Haarschopf, schwarz und wild.
    »Machst du mir das Handschuhfach auf, Gil?«
    »Willst du dir schon wieder eine Line ziehen?«
    »Mach das verdammte Handschuhfach auf«, sagte er, ohne die Stimme zu erheben.
    Ich gehorchte.
    »Gibst du es mir rüber? Damit ich das Lenkrad nicht loslassen muss und am Ende noch jemanden überfahre.«
    Ich reichte ihm die Tüte mit dem Koks. Wintilo steckte die Nase direkt hinein und atmete ein wie ein Mensch, der mehrere Minuten unter Wasser war und kurz vor dem Ertrinken wieder auftaucht. Er gab mir die Tüte zurück, und ich verstaute sie wieder im Handschuhfach.
    Von der Ringautobahn bog er auf eine Straße ab, die zum Nationalpark Desierto de los Leones hinaufführte.
    »Wen haben wir im Kofferraum?«
    Er antwortete nicht.
    Die Häuser wurden weniger, und es mischten sich immer mehr dunkle Flecken darunter, riesige Bäume und freies Gelände.
    »Sag du mir einfach Bescheid, wenn dich die Entführer kontaktieren, dann bewaffnen wir uns bis unter die Eier. Mit Kalaschnikows, du wirst sehen. Wir ficken sie alle! Habe ich dir schon erzählt, wie ich Aníbal Carcaño kennengelernt habe?«
    Ich verneinte.
    Die Geräusche aus dem Kofferraum wurden lauter. Sie waren jetzt kräftig und anhaltend und wurden von einem schrillen Klagelaut begleitet.
    »Erinnerst du dich an Atún? Den Schwachkopf, der mit zu kurzen Armen geboren wurde, weil seine

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