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Schwarze Piste

Schwarze Piste

Titel: Schwarze Piste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Föhr
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eine schöne Zeit.«
    »Haben Sie sich mal verliebt?«, fragte Janette.
    »Ja«, sagte Leberecht und schob Mike den leeren Kaffeebecher über den Tisch. »Refill?« Mike machte sich auf den Weg. Leberecht sah Janette an, und ihr Blick wurde für einen kurzen Augenblick sanfter. »Ja, ich hab mich auch verliebt. Es passiert immer.« Sie blickte eine Weile stumm und nachdenklich auf die Tischplatte und spielte an einem der Ringe an ihrer Hand. Dann wandte sie sich Wallner zu. »Ich hab noch nichts über Annette Schildbichler erzählt.«
    »Tun Sie’s.«
    »Nun – wenn Jörg Andreas Baader war, dann wäre Annette gern seine Ulrike Meinhof gewesen oder Gudrun Ensslin. Leider war Annette von der Natur eher benachteiligt worden. Sie haben ja ihre Leiche gesehen. Glauben Sie mir: Die sah auch vor fünfundzwanzig Jahren nicht besser aus. Jörg hat natürlich nie was mit ihr gehabt. Sie hat es immer wieder versucht, wenn er betrunken war. Aber so betrunken konnte er gar nicht sein. Annette hat Sophie und mich dafür gehasst.«
    »Wofür?«
    »Na, dass Jörg mit uns geschlafen hat. Wir waren bei Gott nicht die Einzigen. Aber wenigstens hat er uns ab und zu mal beglückt. Und trotzdem blieb diese WG fünf Jahre zusammen. Die meiste Zeit waren wir eifersüchtig und unglücklich. Aber es gab auch schöne Momente. In Griechenland und in Wackersdorf, wenn wir ums Lagerfeuer saßen und Kampflieder gesungen haben. ›Alle zusammen‹ von den Bots, das war unsere Hymne. Nun ja. Irgendwann war der Spaß vorbei, und die WG hat sich aufgelöst.«
    »War damit Ihr Job beendet?«
    »Nein. Ich hab noch linke Rechtsreferendare beobachtet. Aber das gehört nicht hierher.«
    »Gut. Die WG war also aufgelöst. Wann war das?«
    » 1990 .«
    »Aber Sie hatten danach noch Kontakt?«
    »Zunächst nicht. Sophies Werdegang hat mich nicht weiter interessiert. Die hat irgendwas Soziales gemacht. Und Annette los zu sein, fand ich ganz angenehm. Jörg ist in seiner Referendarzeit nach Bamberg gegangen. Dort stammte seine spätere Frau Nora her. Er hatte sie in Wackersdorf kennengelernt. An sich hätten wir die Sache abschließen können. Aber wie der Chinese sagt: Erinnerung malt mit goldenen Pinseln. Irgendwie vergisst man, was einen alles genervt hat. Und so haben wir uns zusammentelefoniert und uns einmal im Jahr getroffen. Das war immer geheim. Zum einen, weil Jörg nicht wollte, dass seine Frau davon erfährt. Die war nämlich eifersüchtig. Also zumindest auf Sophie und mich. Und dann hat das Ganze so was Konspiratives gehabt. Wir haben uns auch kaum E-Mails geschrieben oder miteinander telefoniert. Wir haben Briefe geschrieben und die anschließend verbrannt. Das war so eine Marotte. Ich nehme an, Sie haben nicht viele Spuren gefunden, die auf unseren Kontakt hingedeutet haben.«
    »Nein. Außer Ihren beiden Botschaften an Kramm und Schildbichler. Wieso haben Sie Sophie Kramm eine Mail geschrieben?«
    »Hab ich das?« Sie lächelte in sich hinein. »Wenn, dann hätte ich es getan, weil sie das noch mehr erschreckt hätte als ein Brief. Im Internet ist man so verletzlich.«
    »Gut, Sie haben sich also jedes Jahr getroffen. Wo?«
    »Im Atzinger in der Schellingstraße.«
    »Ach? Tatsächlich? Gibt’s das noch?«
    »Ja. Eine der wenigen Studentenkneipen, die all die Jahre überlebt hat. Wir haben da im Studium viel Zeit verbracht.«
    »Und wer hat jetzt Ihre drei Mitbewohner umgebracht?«, wollte Mike endlich wissen.
    »Das kann ich Ihnen auch nicht sagen. Was ich Ihnen sagen kann, ist, was sich am fünfzehnten September 2008 zugetragen hat. Da ausnahmsweise im Alten Simpl, nicht im Atzinger. Ziehen Sie selbst Ihre Schlüsse.«

[home]
    59
    J örg hatte im hinteren Teil des Alten Simpl reservieren lassen. Das Atzinger wurde im Augenblick umgebaut, und es stand zu befürchten, dass es danach nicht mehr sein würde, was es einmal war. Der Alte Simpl war damit eines der letzten Münchner Traditionslokale. Es leitete seinen Namen vom legendären Simplicissimus ab, mit dessen Schöpfern die damalige Wirtin Kathi dem Vernehmen nach auf bestem Fuße gestanden hatte. Das Markenzeichen der Wirtschaft war die rote Simplicissimus-Dogge, die ein Mitbegründer der Zeitschrift der Wirtin als Signet schenkte. Die Dogge des Alten Simpl zerbeißt im Gegensatz zum Original aber nicht die Kette der Zensur, sondern müht sich mit dem Öffnen einer Champagnerflasche.
    Jörg war wie jedes Jahr im Anzug ohne Krawatte erschienen. Er kam von der Arbeit in der Bank.

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