Schwarze Piste
berechtige. Hat mir gefallen. Fand ich stark und hat mein Leben bestimmt. Aber wir sind ja nicht bei der Therapie. Kommen wir auf meinen damaligen Job zurück. Ich hab also Leute kennengelernt, war schwer engagiert, hab ab und zu einen kleinen Bericht geschrieben. Da stand aber nichts drin, was von Belang war. Wieder zur Demo gegangen, Rekrutenvereidigung gestört, Plakate wild geklebt und ähnliche Verbrechen. Ich war da noch Lichtjahre weg von jedem RAF -Kontakt. Aber ich bin in eine sogenannte linke WG eingezogen. Und da wird’s jetzt für Sie interessant. In der WG lebten außer mir zwei Frauen und ein Mann. Die eine Frau war Sophie Kramm. Typ Gutmensch. Hat Sozialpädagogik studiert, aber sonst keinem was getan, immer Verständnis für andere, immer geholfen, wo’s ging. War nicht direkt bigott, hat nur manchmal so etwas an sich gehabt, dass du dir als weniger guter Mensch vorgekommen bist. Sie hat nie gesagt, dass man sich mehr engagieren müsste oder so. Nein, das waren so Emanationen. Ist das Fremdwort bekannt?«
»Nicht direkt«, gab Janette zu.
»Dann schlagen Sie’s nach. Jörg Immerknecht war der einzige Mann in der WG . Er war der Typ Andreas Baader. Sehr dominant. Auch sehr dogmatisch. Konnte aber von einem Tag auf den anderen seine Meinung ändern. Er hatte Charme, absolut. Charisma. Wenn der in einer Versammlung geredet hat, gab’s feuchte Höschen. Am feuchtesten bei Annette Schildbichler. Aber da kommen wir gleich dazu. Jörg hat wie ich Jura studiert, weil man da an Herrschaftswissen kommt. Man muss den Gegner mit seinen eigenen Waffen schlagen, hat er gesagt. Der Gang durch die Institutionen. Das System von innen besiegen. Links denken und schnelle Autos fahren war für Jörg nie ein Widerspruch. Andreas Baader hatte ja auch eine Schwäche für Autos. Und Waffen. Das war wirklich schizophren. Wir sind auf jede Friedensdemo, gleichzeitig haben wir den bewaffneten Kampf der RAF unterstützt. Wissen Sie, was das aufregendste Erlebnis im Leben von Jörg Immerknecht war?«
Leberecht sah sich im Kreis ihrer Zuhörer um. Wallner meldete sich vorsichtig. »Wie er an seine Pistole gekommen ist?«
»Hallo! Nicht schlecht. Ich sag Ihnen jetzt mal, wie’s war: Eines Abends kommt ein Anruf von Geoffrey. Das war angeblich der Kontaktmann zur RAF . Jedenfalls hat er so getan. Wurde natürlich nie offen ausgesprochen. Aber für uns war das klar: Der Geoffrey, der kennt die da drin, die im innersten Kreis. Das können Sie sich nicht vorstellen, mit welcher Ehrfurcht der Mann behandelt wurde. Ich persönlich glaube inzwischen, dass Geoffrey sich nur wichtiggemacht hat. Jedenfalls ruft er eines Abends an. Wir müssten zwei Leute bei uns übernachten lassen. Er brachte sie vorbei, ein Mann und eine Frau. Die haben fast nicht mit uns geredet, sind in Jörgs Zimmer und haben da geschlafen oder was auch immer gemacht. Am nächsten Morgen waren sie weg. Aber unter Jörgs Kopfkissen war diese Pistole. Die hatten sie vergessen. Kein Mensch kann sagen, wer sie waren. Aber Jörg war überzeugt: Die Frau war Birgit Hogefeld.«
»Ich erscheine Ihnen vielleicht völlig ignorant, aber …«, setzte Janette an.
»Sie fragen wenigstens. Birgit Hogefeld war die zentrale Figur der sogenannten dritten Generation. Eigentlich ein Gespenst. Seit einem Jahrzehnt im Untergrund. Unvorstellbar, so jemandem zu begegnen. Das war«, Josepha Leberecht wurde theatralisch, »Kommandoebene! Das war praktisch Gott! Ich muss zugeben, dass ich auch ein bisschen beeindruckt war.«
»Warum haben Sie nicht den Verfassungsschutz angerufen?«
Leberecht deutete auf das Aufnahmegerät. Wallner schaltete es aus. »Ich wäre sofort aufgeflogen. Und das wär’s dann gewesen mit dem schönen Geld. Außerdem – weiß auch nicht. Zu der Zeit hab ich öfter mit Jörg geschlafen. Ich war mir nicht mehr ganz sicher, auf welcher Seite ich stehe. Das kommt zwangsläufig, wenn sie über Jahre das Leben eines anderen Menschen führen. Irgendwann wird man dieser Mensch. Man kann ja nicht um fünf nach Hause gehen und sein wirkliches Leben leben. Es gibt kein wirkliches Leben mehr, außer das als Spitzel. Da sind schon einige dran zerbrochen.«
»Sie nicht?«
»Frauen sind härter. Aber wenn Sie mich fragen würden, ob ich’s noch mal tun würde – never ever.«
»Waren Sie in den Semesterferien weg von der WG ?«
»Nicht wirklich. Wir sind zusammen in Urlaub gefahren. Freiwilligendienste in Albanien und manchmal auch nur nach Griechenland. War
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