Schwarze Piste
werden. Meinetwegen Nicaragua. Gewalt ja, aber intelligent. Es wird niemand getötet, niemand verletzt. Und es kommt niemand ins Gefängnis. Ich hab’s schon oft im Kopf durchgespielt. Es ist verblüffend einfach, wenn man weiß, wie es geht. Das wäre ein Ding, das hätte die RAF nie hingekriegt.«
»Du hast es schon durchgespielt?« Sophie war fassungslos.
»Ja. Hast du nie Sachen im Kopf durchgespielt?«
Sophie hatte das offenbar nicht.
»Ich hab so was oft durchgespielt. Anschläge und so. Ich weiß, es klingt verrückt. Aber das ist einfach in mir drin. Wahrscheinlich habe ich diese kriminelle Energie in den Genen«, sagte Annette und drapierte das Seidentuch neu um ihren Hals.
Sophie und Josepha kamen nach kurzem Blickkontakt überein, dass Annettes schleimiger Versuch, bei Jörg Punkte zu sammeln, an Peinlichkeit nicht zu überbieten war.
»Okay«, sagte Jörg und wurde noch leiser, was in Anbetracht der Geräuschkulisse im Alten Simpl überflüssig war. »Mal ganz ehrlich: Wer von euch wäre dabei, wenn wir so was wirklich durchziehen würden?«
»Komm, das ist doch Phantasie.«
»O nein. Das ist Realität. In meinem Kopf ist alles schon fertig.«
»Wem willst du denn die Kohle abnehmen?«, fragte Annette angespannt.
»Wir haben einen Kunden bei uns, der wäre ideal. Hat ziemlich viel Geld gemacht in den letzten zwei Jahren. Und – er hat auf einen fallenden Dax spekuliert. Der hat unglaublich viel Geld in Put-Optionen investiert. Was glaubst du, was die Optionen morgen wert sind?«
»Der hat doch sicher Bodyguards oder so was. Wie willst du an den rankommen?«
»Ich hab den mal kennengelernt. Der sieht überhaupt nicht aus, als hätte er so viel Geld. Wie wir an ihn rankommen, müssen wir natürlich noch checken. Aber ich bin mir sicher, da geht was.«
»Was konkret meinst du?«
Jörg sah sich um. Es war voll im Lokal. »Das ist vielleicht nicht der richtige Ort, um so was im Detail zu besprechen. Aber ich sage euch: Es würde gehen. Klar, ein Risiko ist immer dabei.«
»Du glaubst wirklich, wir würden davonkommen?« Josepha war inzwischen durchaus interessiert.
»Ja. Und wisst ihr, warum? Weil wir die letzten zwanzig Jahre so gut wie nichts miteinander zu tun hatten und bei der Polizei weder aufgefallen noch erfasst sind. Selbst wenn wir DNA -Spuren und Fingerabdrücke hinterlassen – was wir nicht tun werden –, selbst dann könnte niemand etwas damit anfangen. Die würden nie auf uns kommen. Und danach machen wir es wie immer. Treffen uns einmal im Jahr. Da beschließen wir, was wir in dem Jahr mit dem Geld machen, und das war’s. Wenn’s sein muss, schreiben wir Briefe und verbrennen sie. Keine Mails. Keine Telefonate. Keine Spuren.«
Sophie lachte kurz auf und schüttelte ungläubig, aber nachdenklich den Kopf. »Man könnte fast glauben, du meinst das ernst.«
»Überlegt doch mal: Wir haben all die Jahre nur gelabert und uns eingeredet, dass das unglaublich wichtig ist, was wir labern. Und die letzten zwanzig Jahre haben wir nicht mal mehr gelabert. Klar, wir können uns weiter den Arsch platt sitzen und warten, bis wir verfaulen. Wir können aber auch die letzte Chance ergreifen, was zu machen. Und wenn wir in die Kiste steigen, können wir uns sagen: Hey, war nicht ganz umsonst.« Die Bedienung stellte das georderte Bier vor Jörg auf den Tisch. Er nahm sofort einen kräftigen Schluck und stellte das Glas mit einem entschlossenen Nicken auf dem Bierdeckel ab. »Ich weiß auch nicht – mir wär das irgendwie wichtig.«
[home]
60
W allner hatte einen Teller mit Weihnachtsplätzchen bringen lassen und kaute nachdenklich auf einem harten Zimtstern. »Das heißt, Sie haben sich an dem Abend zu irgendetwas verabredet?«
»Nein. Dazu kam es nicht mehr. Jörg wollte das ja nicht in der Öffentlichkeit besprechen. Er hat gesagt, wir sollten alle mal drüber schlafen.«
»Und dann?«
»Hab ich nichts mehr von den anderen gehört. Ich hab mir gedacht – na ja, war halt so eine Schnapsidee, die man in der Kneipe auskaspert. Trotzdem hab ich Jörg nach einer Woche geschrieben. Was denn aus unseren Simpl-Plänen geworden sei. Nichts, hat er geantwortet. Das sei nur so ein Gedankenspiel gewesen. Zuerst habe ich mich damit zufriedengegeben. Es war ja auch ziemlich abwegig, ich meine, so was wirklich durchzuziehen. Aber dann hab ich den Abend immer wieder Revue passieren lassen. Ich hab Jörg vor mir gesehen, wie er geschaut hat und wie ernst und entschlossen er war. Und ich bin
Weitere Kostenlose Bücher