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Schwarze Piste

Schwarze Piste

Titel: Schwarze Piste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Föhr
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Strapazen nicht umsonst auf sich genommen haben. Da Kreuthner über eine gute Orientierung verfügte, machte es ihm keine Mühe, den Platz mit der Bank wiederzufinden. Auch wenn er bei Tag ganz anders aussah. Er ließ alle anhalten, bevor sie auf die kleine Lichtung kamen.
    »Jetzt müsst’s euch amal vorstellen, wie des bei mir war. Stockdunkle Nacht. Nix gesehen, nur dass da a kleine Lichtung war, weil’s a ganz kleins bissl heller herg’schaut hat. Und ich hab ja mit nix gerechnet. Ich war ja
völlig
ahnungslos.« Kreuthner sah in den Gesichtern der Frauen Aufregung, ja, Sensationsgier, die Pupillen geweitet, der Atem ging schneller. Die Vorstellung, jetzt selbst unvermutet auf eine Tote zu stoßen, war anscheinend äußerst erregend.
    »Da schaut’s her.« Kreuthner deutete auf einen kleinen Baum am Rand der Lichtung. »Da hängt noch a Stück Flatterband. Des war zum Absperren vom Tatort.« Der Grusel steigerte sich auf bislang unerreichte Werte. »Ich fahr jetzt zu der Bank, wo der Schneemann gesessen hat.«
    »Schneemann?«, fragte eine der Frauen.
    »Des war doch des Grausliche. Ich hab erst gedacht, des is a Schneemann.« Leises Raunen folgte, und Kreuthner fuhr, nachdem er eine kleine Pause eingelegt hatte, um die Stimmung zur Entfaltung zu bringen, mit zwei, drei kräftigen Stockeinsätzen in die Lichtung ein.
    Unglauben ist das Wort, das Kreuthners Zustand am besten beschreibt, als er vor der verschneiten Bank stand. Es war einer dieser Augenblicke, in denen wir uns fragen, warum unser Gehirn solch seltsame Kapriolen schlägt und uns die unmöglichsten Dinge vorgaukelt. Erst als er nach langem Zögern seinen Skistock an den Schneemann heranführte und ein wenig lockeren Flaum abgeschabt hatte, konnte Kreuthner glauben, dass dort vor ihm fast der gleiche Schneemann saß wie in der Nacht vor zwei Tagen. Nicht nur, dass da eine eisige Skulptur auf der Bank saß, sie saß auch in exakt der gleichen Haltung wie das Original. Der rechte Arm war nach vorn gestreckt, der Kopf lag im Nacken. Zumindest sah es so aus.
    Inzwischen waren die sieben Frauen näher gekommen. Eine fragte, was das sei. Kreuthner erklärte, dass es ganz genau so ausgesehen habe in jener gruseligen Nacht. Wer den Schneemann auf der Bank gebaut hatte, wusste er nicht. Noch weniger, aus welchem Grund. Wollte sich jemand einen makabren Spaß erlauben?
    Kreuthner fiel auf, dass es an der Stelle, an der er den Schnee weggeschabt hatte, blau schimmerte. Er trat näher und beseitigte noch mehr Schnee mit der Hand. Textil kam zum Vorschein. Es dauerte nicht lange, und der neue, teure Skianorak war in seiner ganzen nachtblauen Schönheit zu sehen. Allerdings war der rechte Ärmel bis über die Armbeuge aufgeschnitten – wie auch der rechte Unterarm. Unter der Bank entdeckte Kreuthner eine große, gefrorene Blutlache, die vom Neuschnee locker bedeckt war.
    Auf den Gesichtern der Frauen zeigte sich ebenjener Unglauben, der Kreuthner kurz zuvor ergriffen hatte.
    »Was ist das?«, fragte eine.

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    23
    D ie Ähnlichkeit hatte etwas Frappierendes, wenn man davon absah, dass es Tag war. Wallner stand in einiger Entfernung zum Tatort, an dem Tina, Oliver und andere Beamte der Spurensicherung ihrer Arbeit nachgingen. Es schneite immer noch, und man näherte sich meteorologischen Rekordmarken. Die Leute vom K  3 , der Abteilung für Spurensicherung, hatten ihren legendären Klapptisch mitgebracht. Darauf eine Thermoskanne Früchtetee (Wintertraum), eine Thermoskanne Kaffee und zwei Weihnachtsteller. Einer mit Plätzchen – unter anderem von Manfred persönlich gebackene, die er selbst wegen wackelnder Zähne nicht mehr essen konnte und deswegen der Polizei spendete. Der Teller war zum Schutz vor dem Schnee mit Stanniol abgedeckt. Auf dem anderen lagen Orangen und Mandarinen sowie eine Südfrucht, deren Namen niemand kannte, weil man sie erst vor wenigen Jahren in einem Kibbuz gezüchtet hatte.
    Wallner besah sich den Tatort im schneeweißen Tageslicht. Ihm wurde klar, dass er schon zwei Abende zuvor ein komisches Gefühl gehabt hatte. Irgendwie lag es in der Luft, dass es kein Selbstmord war. Zu künstlich hatte die Szenerie angemutet. Oder etwa nicht? Nein, da belog er sich selbst. Wallner hatte, wenn er ehrlich war, kaum einen Zweifel daran gehabt, dass Sophie Kramm freiwillig aus dem Leben geschieden war. Einzig das Foto der exhumierten Leiche hatte an dem offensichtlichen Befund geruckelt. Er sah sich um und versuchte, die Chaoswellen, die

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