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Schwarze Piste

Schwarze Piste

Titel: Schwarze Piste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Föhr
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zum grausigen Leichenfundort mitreden zu können, war so deprimierend, dass sie schließlich klein beigab und ihren Obulus entrichtete.
    Bereits die Abfahrt auf der steilen, nicht präparierten Piste überforderte einige der Teilnehmerinnen bei weitem. Die Neugier hatte sie mutig, aber nicht zu besseren Skifahrerinnen gemacht. Mit zitternden Knien rutschten sie den verspurten, zum Glück nicht vereisten Hang Meter für Meter hinunter, so dass die Gruppe fast vierzig Minuten brauchte, bis sie an der Stelle ankam, wo Kreuthner in jener Nacht in den Wald abgebogen war. Als die Frauen erfuhren, dass es jetzt durch richtigen Tiefschnee und dichten Wald gehen sollte, gaben sechs von ihnen auf. Kreuthner erstattete ihnen die Hälfte der Teilnahmegebühr zurück und wünschte ihnen Glück für die restliche Abfahrt, die auch nicht einfach sein würde, aber doch leichter als das, was die anderen erwartete. Mit dem Rest der Truppe, darunter der Sennleitnerin, fuhr Kreuthner in den Wald.
    Auch hier gab es Schwund. Immer wieder wurde eine der Frauen Opfer der Fährnisse, die sich unter dem kniehohen Schnee verbargen. Mal geriet eine mit ihren Skiern unter einen Ast, mal tat sich ein Loch auf und eine Teilnehmerin musste von Kreuthner herausgezogen werden. Am schlimmsten traf es Anneliese Sennleitner. Sie stürzte – oder treffender: sackte – in ein trockenes Bachbett und rumpelte dabei mit ihren hundertachtzehn Kilo gegen einen jungen Baum, der sich aufgrund der enormen Erschütterung vollständig seiner Schneelast entledigte. Es schaute nur noch ihr Kopf heraus. Kreuthner kehrte, als er schrille Schreie hinter sich hörte, um und begutachtete das Schlamassel. Die Ärmste steckte nicht nur bis zum Hals im Schnee, sondern war auch fast zwei Meter tief in das Bachbett hinuntergefallen und damit für ihre Kameradinnen nicht erreichbar. Zudem fingen die ersten an zu weinen und wollten möglichst schnell ins Tal, weil ihnen kalt war oder sie aufs Klo mussten.
    »Du musst die Händ freikriegen und dich ausgraben«, rief Kreuthner der Sennleitnerin zu.
    »Was glaubst denn, was ich grad versuch, du hirnamputierter Hornochse! Hol mich hier raus!!« Anneliese Sennleitners Stimme sprang eine Oktave höher.
    »Normal tät ich ja zu dir runterkommen …«
    »Was heißt normal? Hol mich raus! Hilfää!!« Sie riss die Augen panisch auf und hätte angefangen zu hyperventilieren, hätte ihr nicht der viele Schnee schwer auf den Brustkorb gedrückt.
    »Du musst dich beruhigen und deine Kräfte sparen. Des kann jetzt a bissl dauern. Die gute Nachricht is: Erfrieren kannst net. Der Schnee isoliert.«
    »Leo?! Was hast du vor? Du lasst mich doch net z’ruck?«
    »Wer spricht denn von z’rucklassen! Ich kann nur net zu dir runter, weil ich eine Verantwortung hab für die anderen. Verstehst? Wenn ich auch noch stecken bleib – dann finden die nie wieder raus hier.« Dieser Satz zauberte den umstehenden Frauen einen Ausdruck in die erschöpften Gesichter, dass Kreuthner sich fast selbst gruseln musste.
    »Leo …«, wimmerte Anneliese Sennleitner. »Lass mich net allein. Das kannst net machen!«
    »Ich hol doch nur Hilfe. A Stund Maximum, dann is die Bergwacht da. Vielleicht bleibt ja eine von den andern da?« Kreuthner sah sich im Kreis seiner Schutzbefohlenen um. Es riss sich niemand um den Job. Allen war kalt, alle hatten Angst, und alle mussten pinkeln. Schlechte Karten also für Anneliese Sennleitner. Die Aussicht, im dunklen Wald weit abseits der Piste eingeschneit zu werden, mochte eine enge Freundin nicht davon abhalten, ihr in dieser Stunde der Prüfung Beistand zu leisten. Unter den Anwesenden leider fand sich niemand, was Anneliese Sennleitner eigentlich anders eingeschätzt hatte. Man musste freilich ganz allgemein sagen, dass Außen- und Innensicht, was ihre Beliebtheit anbetraf, signifikant auseinanderlagen.
    Es schneite dichter und dichter, als sich Kreuthner und die sieben übrig gebliebenen Frauen weiter den Berg hinabkämpften. Die gellenden Verzweiflungsschreie, die hinter ihnen durch den Wald hallten, ließen alle erschauern. Aber man hoffte, sie bei zügigem Vorankommen bald nicht mehr hören zu müssen. Einige Frauen hatten sich die Kopfhörer ihres iPods in die Ohren gesteckt, um dem akustischen Ungemach beizukommen.
    Als es im Wald endlich wieder still geworden war, hielt Kreuthner an und sagte: »Den Tatort schauen mir aber schon noch an, oder?« Er erntete zustimmendes Gemurmel. Schließlich wollte man die

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