Schwarze Piste
Fernseher einschalten. Wir sind davorgesessen und haben gesehen, wie die Türme einstürzen, und haben geheult und uns im Arm gehalten, und ich hab gesagt, wie leid mir alles tut, und sie hat gesagt, dass sie mich so vermisst hat und dass Uwe sowieso ein Arschloch war und sie ihn ein halbes Jahr später rausgeschmissen hat. Seitdem bin ich hier nie mehr weggegangen. Das war die schönste Zeit in meinem Leben.« Das Feuer zuckte auf Danielas Gesicht, zwei Tränen liefen ihr die Wangen hinunter.
»Sag mal …« Troll nahm nach getaner Arbeit wieder seinen Platz auf Kreuthners Schoß ein. »Du hast doch deine Schwester so gut gekannt. Ihr habt euch doch bestimmt alles erzählt.«
»Das dachte ich auch.« Sie wischte die Tränen fort.
»Und du hast gar keine Ahnung, warum jemand sie und die anderen aus ihrer WG umbringt?«
»Ich wünschte, ich wüsste es. Anscheinend war da irgendetwas in ihrer Vergangenheit, das sie mir nie gesagt hat.«
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54
D er Morgen war ebenso kalt wie die Nacht. Die Sonne stand niedrig, der Himmel war wolkenlos. Kreuthner brauchte Starthilfe von Daniela, um seinen alten Passat anzulassen. Er nahm sich vor, auf dem Schrottplatz der Lintingers eine neue oder zumindest funktionierende Batterie zu besorgen. Frank beobachtete das Treiben auf dem Hof von seinem Geländewagen aus. Er war um sieben wiedergekommen, nachdem er in Bad Wiessee in einem Vier-Sterne-Hotel übernachtet hatte. Das würde er seinem Auftraggeber in Rechnung stellen. Falls er an das Geld kam, natürlich nicht. Erstens war er nicht kleinlich. Zweitens würde er in der Karibik am Strand liegen, bevor Krugger Gelegenheit hatte, die Spesenrechnung zu begleichen. Er setzte erneut das Fernglas an. Daniela hatte ihren Wagen auf den Hof gefahren und Kühler an Kühler vor den Passat gestellt. Frank hätte dem Polizisten durchaus beim Anlassen seines Wagens geholfen. Aber dann hätte Kreuthner gewusst, dass Frank auf dem Hof war, und das musste nicht sein.
Kreuthner war etwas wehmütig vom Hof gefahren und hatte sich noch einmal nach Daniela umgedreht, die ihm mit vor Kälte gerötetem Gesicht nachgewunken hatte. Eine weißblonde Strähne hatte unter ihrer Mütze hervorgeschaut und war quer übers Gesicht gefallen. Kreuthner hatte Schmetterlinge im Bauch. Nicht nur, weil er verliebt war. Er war auch besorgt. Hier draußen lief jemand herum, der drei Menschen umgebracht hatte. Daniela war in Gefahr. Möglicherweise nur deshalb, weil sie zu viel wusste – vielleicht, ohne es zu ahnen.
Er fuhr von Riedern auf der Bundesstraße nach Miesbach und nahm dort die Richtung Norden führende Straße nach Weyarn. Wenige Kilometer hinter Miesbach bog er nach Osten in eine kleine Straße ab, die gerade erst vom Schneepflug geräumt worden war. Sie führte an dem Haus vorbei, das Baptist Krugger gehörte. Es lag etwas abseits der Straße. Ein Stichweg, der vermutlich nicht geteert war, führte dorthin. Und er wurde nicht geräumt, wie Kreuthner feststellte. Der Schneepflug hatte vielmehr einen ordentlichen Haufen Schnee vor der Einfahrt hinterlassen. Kreuthner war es egal. Er hatte ohnehin nicht vor, am Haus zu parken. Allerdings war es schwierig, anderweitige Parkmöglichkeiten zu finden. Neben der Straße lag überall ein Meter Schnee. Das wäre selbst mit einem Allradfahrzeug schwierig geworden. Er musste einen halben Kilometer weiter bis zum nächsten Bauernhof fahren und die Bewohner bitten, seinen Wagen dort abstellen zu dürfen.
Etwa fünfzig Meter, bevor die Straße den Stichweg erreichte, bog Kreuthner zu Fuß auf die Wiese ab. Er wollte auf dem Zufahrtsweg keine Fußspuren hinterlassen. Bis zum Grundstück musste Kreuthner sich etwa einhundertfünzig Meter zu Fuß durch den tiefen Schnee arbeiten und kam leidlich erschöpft an dem Anwesen an. Hinter einem Holzzaun war eine Hecke aus Hagebutten, Schneeball und anderen kleinen Laubgehölzen, die im Sommer guten Sichtschutz bieten mochte, ohne Blätter aber durchsichtig war. Das Haus war klein, im bayerischen Landhausstil gebaut, vermutlich in den ersten Jahren nach dem Krieg, als die Ansprüche bescheiden waren. Später hatte jemand einen großzügig verglasten Anbau mit Flachdach daran gesetzt. Ob der jemals genehmigt worden war, durfte bezweifelt werden, denn die Bauordnung im Landkreis mochte keine Flachdächer. So abseits, wie das Haus gelegen war, hatte sich vermutlich nie jemand darüber aufgeregt.
Die westliche Grundstücksgrenze war durch dichtes Unterholz abgeschirmt.
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