Schwarze Rose der Nacht - Amber, P: Schwarze Rose der Nacht
ihre Taille und wollte sie an sich ziehen, ein anderer stieß ihn beiseite.
„He Mann! Das is‘ ‘ne feine Dame. Da musst du dich benehmen, du Walross!“
„Die ist ja ganz blass, die Kleine. Hast wohl ’nen Geist im Nebel gesehen, was?“
„Oder den Mörder, der hinter den hübschen Dunkelhaarigen her ist. Pass gut auf, Kleine. Bist genau sein Typ! Komm lieber mit uns, da hast du jede Menge Spaß.“
Sie nutzte den Umstand, dass die Burschen nicht mehr ganz standfest waren, und entwischte ihnen. Es war nicht mehr weit, sie hatte es fast geschafft. Wenige Minuten später riss sie an dem Haus, in dem Grace wohnte, fast die Glocke ab. Als das erschrockene Mädchen öffnete, stürzte sie wie besinnungslos in den Flur.
Grace stand oben an der Treppe, aufgeputzt und gepudert, ihr apfelgrünes Samtkleid schimmerte im Licht der Wandlüster. Sie sah erschrocken auf die vollkommen verstörte Violet hinunter.
„Violet - um Gottes willen. Was ist geschehen? Weshalb kommst du so spät? Wie siehst du nur aus?“
Violett war nahe daran, in Tränen auszubrechen, doch dann erblickte sie neben Grace einen seltsamen Menschen, den sie hier noch nie zuvor gesehen hatte und sie nahm sich unwillkürlich zusammen.
Der Mann war hochgewachsen und trug einen schwarzen Gehrock, dazu einen Hut mit schmaler Krempe. Sein Gesicht wirkte blass, die Nase scharf und in dem durchdringenden Blick, mit dem er sie musterte, lag unverhohlene Spottlust. Es war ohne Zweifel dieser Ausdruck in seinen Zügen, der Violet veranlasste, ihre Gefühle zu unterdrücken. Vor diesem Menschen würde sie ganz gewiss nicht wie eine hysterische Person anfangen zu heulen.
Der neue Kunde stieg gemächlich die Treppe nach unten, warf Grace einen kurzen Abschiedsgruß zu und zog seine Handschuhe aus feinem, schwarzem Leder an. Er ging schweigend an Violet vorbei und verließ das Haus, ohne sie weiter zu beachten.
„Ein Verrückter“, sagte Grace tröstend. „Du glaubst gar nicht, wie viele skurrile Figuren es gibt. Männer kommen mitunter auf die merkwürdigsten Ideen.“
Sie hatte Violet – ohne Rücksicht auf die ungeduldig wartenden Kunden – in ihr Zimmer begleitet und sich neben die Freundin aufs Bett gesetzt.
„Es war so schrecklich, Grace“, schluchzte Violet. „Ich glaubte, jeden Augenblick sterben zu müssen. Und er hat mich mit seinen Händen unter dem Kleid berührt.“
Grace schlang den Arm um sie und drückte sie an sich.
„Ein perverser Dreckskerl. Ich wünschte, ich wäre in der Nähe gewesen – mit mir hätte er diese Spielchen nicht gemacht. Und dennoch hast du Glück gehabt, Violet.“
Sie schwieg, aber Violet hatte sehr gut verstanden, was sie sagen wollte.
„Du meinst, es hätte auch der Mörder sein können?“
Grace streichelte ihren Arm und nickte.
„Ich war fest davon überzeugt, dass er es war, Grace. Und ich frage mich jetzt noch, ob ich ihm nur durch einen glücklichen Umstand entkommen bin.“
„Unsinn“, gab Grace zurück. „Wenn es tatsächlich dieser verdammte Kerl gewesen wäre, dann hätte er gleich richtig zugestochen und du säßest jetzt nicht hier. Es war ein Spinner, einer dieser Typen, die zuhause unter dem Pantoffel stehen und sich hin und wieder mal Luft machen müssen. Glaub mir, ich kenne genügend solcher Leute. Und jeder hat seine eigene Macke.“
Sie schob Violet sanft von sich weg, glättete einige zerdrückte Stellen an ihrem grünen Samtkleid und strich der Freundin dann zart mit dem Handrücken über die feuchte Wange.
„Wisch dir die Tränen ab, Mädel. Außer dem Schrecken und einem kleinen Ritz im Rücken ist ja nichts passiert. Ruh dich ein wenig aus, und wenn du Lust hast, dann komm später in den Salon und spiele uns vor, ja? Sie haben schon nach dir gefragt.“
Violet runzelte die Stirn. Sie fühlte sie entsetzlich und zitterte immer noch am ganzen Körper. Wie konnte Grace nur glauben, dass sie in diesem Zustand Klavier spielen würde?
„Wer hat nach mir gefragt? Dieser neue Kunde etwa?“
Grace verzog den Mund zu einem vielsagenden Lächeln.
„Mr. Marlow? Oh nein, der nicht. Interessierst du dich etwa für ihn?“
„Keineswegs“, gab Violet entrüstet zurück. „Ich frage nur deshalb, weil er mich so durchdringend angesehen hat.“
„Oh, er ist ein ganz ausgefuchster Kerl, vor dem man sich in acht nehmen muss, meine Kleine. Kein Kostverächter – er hat die ganze Reihe meiner Freundinnen durch, und nun scheint er seine Zelte bei mir aufschlagen zu wollen. Nun
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