Schwarze Schafe in Venedig
Telefon war auf Englisch verfasst.
Zweitens: Sollte ich tatsächlich anrufen, würde mir das, was ich zu hören bekäme, sicher nicht gefallen.
Das Problem war bloß, sollte ich nicht anrufen, würde ich meinen Malteser Falken mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nie wiedersehen. Und auch wenn der Gedanke nicht gerade tröstlich war, dass derjenige, der dieses Handy hier hinterlegt hatte, davon ausging, mein Wunsch, das Buch wiederzubekommen, würde sämtliche Bedenken meinerseits beiseitewischen, konnte ich mich dem Gefühl doch nicht entziehen, dass ich, sollte dieses tatsächlich eine Falle sein, wohl nicht umhinkäme, zumindest einen Zeh hineinzustecken.
Also drückte ich mit dem behandschuhten Daumen auf den kleinen grünen Knopf, hielt mir das Handy ans Ohr und lauschte auf das blecherne Scheppern des italienischen Wähltons. Ich hörte ihn nur einmal läuten, ehe jemand ranging.
»Sie sind spät dran.«
Es war eine Frauenstimme.
»Wer ist da?«, fragte ich.
Blöde Frage. Vor meinem inneren Auge sah ich die wohlgeformte Blondine, die in meine Wohnung eingebrochen war. Noch während ich redete, setzte mein Hirn ihr Bild zusammen und verglich es mit der Stimme, die mir aus dem Hörer entgegenklang. Beides schien zusammenzupassen. Ihr Englisch war gut, wenn auch etwas bemüht, mit einem starken italienischen Akzent durchsetzt und dem typischen melodiösen Singsang in der Stimme.
»Sie wissen ganz genau, wer ich bin«, erklärte sie mir etwas gehetzt. »Wir haben uns bereits kennengelernt. Hübsche Unterwäsche haben Sie, finde ich.«
Ich schlug die freie Hand vors Gesicht und konnte nur mit Mühe ein gequältes Stöhnen unterdrücken. »Aber ich weiß nicht, wie Sie heißen«, sagte ich zu ihr. »Und ich habe keinen Schimmer, was Sie von mir wollen.«
»Mein Name tut nichts zur Sache.«
Seltsam, mir schien er einiges zur Sache zu tun.
»Sie möchten Ihr Buch zurück, ja?«, fragte sie.
»Das wäre sehr nett«, stimmte ich ihr zu.
» Perfetto« , schnurrte sie. »Dann tun Sie, was ich sage.«
Sagte ich nicht, dieser Anruf sei keine gute Idee? Die Richtung, die dieses Gespräch zu nehmen drohte, gefiel mir schon jetzt nicht mehr, und ich war mir ziemlich sicher, es hatte das Potential, noch viel schlimmer zu werden.
»Und was, wenn nicht?«, meinte ich. »Was, wenn ich einfach auflege und gehe?«
»Dann tut es mir leid, aber dann werden Sie Ihr Buch nie wiedersehen.«
»Und?«
Sie stutzte kurz, und ich spürte, wie sie am anderen Ende der Leitung ins Grübeln geriet. »Und ich denke, das genügt.« Und doch hörte man an ihrem Tonfall, dass sie sich nicht ganz so sicher war, wie sie vorgab. »Ich kenne dieses Buch. Ich weiß, wie viel es wert ist. Und ganz besonders für Sie, nicht?«
Ich gab keine Antwort. Wie schön wäre es gewesen, sich einzureden, ich könnte einfach stumm in dem dunklen Laden stehen bleiben und bräuchte nie wieder irgendwas zu sagen. Noch schöner wäre nur der Gedanke, einfach nach Hause zu gehen, ins Bett zu krabbeln und zu vergessen, dass das alles passiert war. Ja, eigentlich wäre es gar nicht schwer gewesen, ein völlig neues, anderes Leben für mich zu erfinden – in dem ich nicht auf meine ungeduldige neue Bekanntschaft am anderen Ende der Leitung hörte.
»Befolgen Sie nun meine Anweisungen?«, fragte sie.
»Das kommt ganz auf Ihre Anweisungen an.«
Sie schnalzte missbilligend mit der Zunge und schnaubte verärgert, und dann umriss sie kurz, was sie von mir erwartete. » Allora ... Sie gehen zur Calle Cavalli. Das ist in San Polo, in der Nähe des Campo di San Polo. Dort steht ein Haus – Nummer 1952. Gehen Sie hinein. Die Schlösser dürften kein Problem sein – nicht mal für eine lahme Ente wie Sie.«
»Hey!«
»Im ersten Stock ist eine Wohnung. Die Tür steht offen. Dort treffen wir uns. Capito? «
»Und dann?«
Sie zögerte. »Dann reden wir darüber, was Sie für mich tun sollen.«
Mannomann, wenn das mal nicht nach einem einmaligen Angebot klang. Wenn ich mich darauf einließ und tat, was sie von mir verlangte, dann hatte ich keinen Einfluss mehr darauf, was mit mir geschah, und keinen Schimmer, was mich in der Wohnung erwartete, in die ich für sie einbrechen sollte. Womöglich würde mich gleich hinter der Tür ein Schlägertrupp in Empfang nehmen, der detaillierte Anweisungen hatte, welche Schmerzen und Unannehmlichkeiten mir zu bereiten seien. Oder womöglich war die Bude eben ausgeraubt worden, und meine Peinigerin wollte mich in
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